Rz. 7

Tarifverträge dürfen von den Vorschriften des BUrlG auch zuungunsten der Arbeitnehmer abweichen. Denn von der Formulierung in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, dass von den vorstehenden Vorschriften – und damit den §§ 112 BUrlG – in Tarifverträgen abgewichen werden dürfe, sind sowohl für die Arbeitnehmer günstigere als auch schlechtere Abweichungen umfasst[1] (sog. tarifvertragliches Vorrangprinzip). § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG beinhaltet aber eine "Rückausnahme" von diesem Vorrangprinzip, wenn dort formuliert ist "mit Ausnahme der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1".[2] Dies führt dazu, dass auch in Tarifverträgen zulasten von Arbeitnehmern nur von § 3 Abs. 2 bis § 12 BUrlG abgewichen werden darf. Von den in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG aufgelisteten Normen – den sog. "Grundsatzvorschriften" (so BAG, Urteil v. 10.2.1966, 5 AZR 408/65[3]) – dürfen vom Gesetzeswortlaut abweichende Tarifnormen dagegen nur günstigere Regelungen enthalten. Dabei kommt es nicht darauf an, wie der Günstigkeitsvergleich in einem konkreten Einzelfall ausfällt. Unerheblich ist also, ob sich die tarifliche Regelung tatsächlich zulasten des Arbeitnehmers auswirkt. Es ist vielmehr abstrahierend darauf abzustellen, ob die Gesamtauswirkung der tariflichen Regelungen den durch § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG gesetzten Grenzen entspricht oder nicht (BAG, Urteil v. 22.1.2002, 9 AZR 601/00[4]). Mit einem kollektiven Günstigkeitsvergleich[5] hat dies allerdings nichts zu tun. Vielmehr sind die urlaubsrechtlichen Auswirkungen auf den Arbeitnehmer als Individuum maßgeblich.[6]

Die Auswirkungen der jeweiligen tariflichen und gesetzlichen Normen sind in einem "Einzelvergleich" zu ermitteln, d. h. der jeweiligen tariflichen Vorschrift wird die entsprechende gesetzliche gegenübergestellt. Ein Gruppenvergleich findet dagegen nicht statt.[7] Deshalb kann eine zulasten des Arbeitnehmers geregelte Abweichung bei der Berechnung des Urlaubsentgelts weder durch eine gegenüber dem gesetzlichen Mindesturlaub erhöhte Anzahl von Urlaubstagen noch durch ein zusätzliches Urlaubsgeld ausgeglichen werden (BAG, Urteil v. 22.1.2002, 9 AZR 601/00[8]). Die Abweichung bei der Berechnung des Urlaubsentgelts bleibt unwirksam.

 

Rz. 8

Das Vorrangprinzip kommt nur dann zur Anwendung, wenn entweder beide Vertragsparteien tarifgebunden sind oder der Tarifvertrag im Arbeitsvertrag in Bezug genommen wurde (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG[9]). Es gilt auch dann, wenn ein Tarifvertrag nur noch nachwirkt, § 4 Abs. 5 TVG, weil er abgelaufen oder gekündigt ist (vgl. BAG, Urteil v. 18.9.2012, 9 AZR 1/11[10]). Auch in diesem Stadium kann er noch von den Arbeitsvertragsparteien i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG in Bezug genommen werden.[11]

[1] ErfK/Gallner, 23. Aufl. 2023, § 13 BUrlG, Rz. 5; NK-ArbR/Düwell, 1. Aufl. 2016, § 13 BUrlG, Rz. 10; Leinemann/Linck, Urlaubsrecht, 2. Aufl. 2001, § 13 BUrlG, Rz. 1; Neumann/Fenski/Kühn/Neumann, BUrlG, 12. Aufl. 2021, § 13 BUrlG, Rz. 11.
[3] BB 1966 S. 619; BAG, Urteil v. 3.12.1970, 5 AZR 202/70, DB 1971 S. 295; aus der jüngsten Rechtsprechung vgl. BAG, Urteil v. 17.6.2020, 10 AZR 210/19 (A), NZA 2020, 1551; BAG, Urteil v. 19.3.2019, 9 AZR 406/17, NZA 2019, 1435.
[4] NZA 2002, 1041; NK-ArbR/Düwell, 1. Aufl. 2016, § 13 BUrlG, Rz. 16.
[6] NK-ArbR/Düwell, 1. Aufl. 2016, § 13 BUrlG, Rz. 18; ErfK/Gallner, 23. Aufl. 2023, § 13 BUrlG, Rz. 6.
[7] S. Rz. 11.
[8] NZA 2002, 1041; ErfK/Gallner, 23. Aufl. 2023, § 13 BUrlG, Rz. 6.
[9] S. im Einzelnen Rz. 22 f., 29.
[10] NZA 2013, 216; BAG, Urteil v. 27.6.1978, 6 AZR 59/77; DB 1978 S. 2226; Neumann/Fenski/Kühn/Neumann, BUrlG, 12. Aufl. 2021, § 13 BUrlG, Rz. 11.
[11] S. Rz. 29; NK-ArbR/Düwell, 1. Aufl. 2016, § 13 BUrlG, Rz. 11 und 32; ErfK/Gallner, 23. Aufl. 2023, § 13 BUrlG, Rz. 20.

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