Rz. 4

Aus der Formulierung in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, "von den vorstehenden Vorschriften mit Ausnahme der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 kann in Tarifverträgen abgewichen werden", ergibt sich im Zusammenspiel mit der weitergehenden Regelung in § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG, wonach "im Übrigen – abgesehen von § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG – von den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden kann", der Grundsatz der Unabdingbarkeit der gesetzlichen Regelungen des BUrlG durch Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag. Dies bedeutet, dass die gesetzlichen Vorschriften des BUrlG als "stärkere Rechtsnormen" sowohl Betriebsvereinbarungen als auch einzelvertraglichen Vereinbarungen zwingend vorgehen, es sei denn, diese sind für den Arbeitnehmer günstiger oder eine ungünstigere Regelung ist im BUrlG ausdrücklich gestattet. Das gilt nicht nur für Vereinbarungen, die unmittelbar im Arbeitsvertrag geschlossen werden, sondern auch für jede weitere vertragliche Vereinbarung. Insbesondere in Aufhebungs- bzw. Abwicklungsverträgen[1] werden vielfach im Rahmen des Bemühens, das Arbeitsverhältnis vollständig "zu bereinigen", Urlaubsregelungen getroffen, die sich am Maßstab des BUrlG messen lassen müssen.

 

Rz. 5

 

Beispiel

Urlaub und Rückrufrecht des Arbeitgebers[2]

Auf einen entsprechenden Urlaubsantrag eines Arbeitnehmers, der zum 30.6.2019 aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, setzt der Arbeitgeber den Urlaub des Arbeitnehmers auf die letzten 2 Wochen des bestehenden Arbeitsverhältnisses fest. Gleichzeitig vereinbaren Arbeitnehmer und Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer bei entsprechendem Bedarf im Urlaub von zu Hause aus noch verschiedene Dokumentationen erstellt. Nachdem sich herausstellt, dass der Arbeitgeber eine Dokumentation benötigt, die allein der Arbeitnehmer erstellen kann, weigert dieser sich, seine Arbeitsleistung in den letzten 2 Wochen des Arbeitsverhältnisses zu erbringen.

Lösung

Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, seine Arbeitsleistung während des bewilligten Urlaubs zu erbringen. Nach § 1 BUrlG schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Erholungsurlaub. Zur Erfüllung dieses gesetzlichen Anspruchs hat er den Arbeitnehmer von der Arbeit freizustellen. Dem Arbeitnehmer ist es hierfür uneingeschränkt zu ermöglichen, anstelle der geschuldeten Arbeitsleistung die ihm aufgrund des Urlaubsanspruchs zustehende Freizeit selbstbestimmt zu nutzen. Das ist dann nicht gewährleistet, wenn der Arbeitnehmer trotz der Freistellung ständig damit rechnen muss, zur Arbeit abgerufen zu werden. Eine derartige Arbeitsbereitschaft lässt sich mit der Gewährung des gesetzlichen Erholungsurlaubs nicht vereinbaren (BAG, Urteil v. 20.6.2000, 9 AZR 405/99[3]).

 
Hinweis

Eine Vereinbarung, in der sich der Arbeitnehmer gleichwohl verpflichtet, den Urlaub abzubrechen und die Arbeit wieder aufzunehmen, verstößt jedenfalls bzgl. des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs gegen § 13 Abs. 1 BUrlG; sie ist rechtsunwirksam.[4] Hierfür ist unerheblich, ob der Urlaub von vornherein im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer unter Vorbehalt gewährt wird oder ob er zunächst vorbehaltlos bewilligt wird und sich der Arbeitnehmer erst zeitlich später – vor Urlaubsantritt – verpflichtet, dem Arbeitgeber auf dessen Verlangen zur Arbeitsleistung zur Verfügung zu stehen.

[1] S. hierzu Rz. 32 ff.
[2] Vgl. umfassend Schinz, jM 2016, S. 193 ff.
[3] NZA 2001, 100; NK-ArbR/Düwell, 1. Aufl. 2016, § 13 BUrlG, Rz. 8; s. im Einzelnen Arnold, § 7, Rz. 97 ff.
[4] Etwas anderes gilt für den arbeitsvertraglich vereinbarten Mehrurlaub. Hier können die Arbeitsvertragsparteien ein Widerrufsrecht vereinbaren. Sie müssen aber zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem vertraglich vereinbarten Mehrurlaub unterscheiden (vgl. Schinz, jM 2016, S. 193, 198).

2.1 Verhältnis von tarifvertraglichen zu gesetzlichen Urlaubsregelungen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BUrlG)

 

Rz. 6

Mit der Regelung in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG hat der Gesetzgeber der Tarifautonomie durch den weitgehenden Vorrang tariflicher Vorschriften vor den gesetzlichen Regelungen des BUrlG eine Bevorzugung eingeräumt (BAG, Urteil v. 17.11.2009, 9 AZR 844/08[1]).

[1] DB 2010 S. 850, Rz. 40; ErfK/Gallner, 23. Aufl. 2023, § 13 BUrlG, Rz. 1.

2.1.1 Vorrangprinzip

 

Rz. 7

Tarifverträge dürfen von den Vorschriften des BUrlG auch zuungunsten der Arbeitnehmer abweichen. Denn von der Formulierung in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, dass von den vorstehenden Vorschriften – und damit den §§ 112 BUrlG – in Tarifverträgen abgewichen werden dürfe, sind sowohl für die Arbeitnehmer günstigere als auch schlechtere Abweichungen umfasst[1] (sog. tarifvertragliches Vorrangprinzip). § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG beinhaltet aber eine "Rückausnahme" von diesem Vorrangprinzip, wenn dort formuliert ist "mit Ausnahme der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1".[2] Dies führt dazu, dass auch in Tarifverträgen zulasten von Arbeitnehmern nur von § 3 Abs. 2 bis § 12 BUrlG abgewichen werden darf. Von den in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG aufgelisteten Normen – den sog. "Grundsatzvorschriften" (so BAG, Urteil v. 10.2.1966, 5 AZR 408/65[3]) – dürfen vom Gesetzeswortlaut abweichende Tarifnormen dagegen nur günstigere ...

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