Rz. 71

Anlässlich der Fälle andauernder Arbeitsunfähigkeit hat das BAG zunächst an seiner Rechtsprechung festgehalten, wonach ein Urlaubsabgeltungsanspruch dann nicht entsteht, wenn das Arbeitsverhältnis mit dem Tod des Arbeitnehmers endet.[1] Nachdem der EuGH entschieden hat, dass der Anspruch auf eine finanzielle Vergütung nicht genommener Urlaubsansprüche – gemeint ist die Urlaubsabgeltung – nicht deshalb untergeht, weil der Arbeitnehmer gestorben ist[2], hat das BAG den EuGH erneut mit dieser Frage befasst und die Auffassung vertreten, dass das nationale Recht (§ 7 Abs 4 BUrlG i. V. m. § 1922 Abs 1 BGB) dem Erben eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers einen Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für den dem Arbeitnehmer vor seinem Tod zustehenden Mindestjahresurlaub nicht einräumt.[3] Wie zu erwarten hat der EuGH seine bestehende Auffassung bestätigt. Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG steht dem Untergang von Urlaubsansprüchen beim Tod eines Arbeitnehmers ohne das Entstehen einer finanziellen, vererbbaren Vergütung auch dann entgegen, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod endet.[4] Das BAG hat daraufhin §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG – doch – richtlinienkonform ausgelegt und festgestellt, dass die Vergütungskomponente des Anspruchs auf den vor dem Tod nicht mehr genommenen Jahresurlaub als Bestandteil des Vermögens Teil der Erbmasse wird.[5] Mit der richtlinienkonformen Auslegung musste das BAG nicht der Notwendigkeit nachgehen, nationales Recht, das Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC entgegensteht[6], unangewendet zu lassen und auf andere Weise dafür Sorge zu tragen, dass der Rechtsnachfolger eine finanzielle Vergütung erhält, wie es der Tenor zu 2. des Urteils des EuGH verlangt hat.

 
Praxis-Beispiel

Eine Arbeitnehmerin war bis 31.7.2020 bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Sie hatte bei ihrem Ausscheiden noch 10 Tage Resturlaub, den sie wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr nehmen konnte. Im November 2020 verstirbt sie, ohne zuvor von ihrem Arbeitgeber die Zahlung von Urlaubsabgeltung verlangt zu haben. Die Tochter der Arbeitnehmerin, die Alleinerbin ist, klagt im Dezember 2020 auf Zahlung von Urlaubsabgeltung.

Lösung:

Die Tochter kann den Urlaubsabgeltungsanspruch geltend machen, da er als bloße Geldforderung in den Nachlass übergegangen ist (§ 1922 BGB i. V. m. § 7 Abs. 4 BUrlG). Auf die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs in der Person der verstorbenen Arbeitnehmerin kommt es nicht mehr an.

 

Rz. 72

 
Hinweis

Die Vererbbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs wirft auch Fragen im Bereich der Sozialversicherung und der Lohnsteuerpflicht auf. Gegen den Abzug von Arbeitnehmerbeiträgen spricht, dass der Erbe nicht "Beschäftigter" i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB IV ist. Gegen den Abzug von Lohnsteuer mag sprechen, dass der Arbeitgeber damit keine Steuerschuld des Erblassers – des verstorbenen Arbeitnehmers – nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG mehr erfüllen kann. Stattdessen hätten die Erben Erbschaftssteuer zu zahlen.[7]

[3] BAG, Beschluss v. 18.10.2016, 9 AZR 45/16 (A), ZTR 2016, 693; kritisch hierzu u. a. Kamanabrou, RdA 2017, 162, 165: § 7 Abs. 4 BUrlG setze keine Monokausalität in dem Sinne voraus, dass die Urlaubsgewährung nur an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses scheitern dürfe, der Arbeitnehmer also noch leben müsse.
[6] Handelt es sich um einen staatlichen Arbeitgeber, so findet die Richtlinie Anwendung; bei einem privaten Arbeitgeber kann die Richtlinie dagegen nicht unmittelbar angewendet werden, sodass der EuGH als Anspruchsgrundlage allein auf Art. 31 Abs. 2 GRC zurückgegriffen hat (vgl. näher hierzu Rz. 8).
[7] Vgl. im Einzelnen Gussen, FA 2014, 298 ff.

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