Rz. 45

Im Kündigungsschutzverfahren ist zu fragen, ob in der Erhebung der Klage auch gleichzeitig die Geltendmachung von Urlaubsansprüchen liegt und damit ein Verfall aufgrund des Ablaufs des Urlaubsjahres bzw. des Eingreifens von Ausschlussfristen ausgeschlossen ist. Aufgrund der nunmehr vom BAG bejahten Initiativlast einer Arbeitgeberin für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs (vgl. vor Rz. 42) bedarf es schon gar keiner Geltendmachung zur Vermeidung des Verfalls des Urlaubsanspruchs, wenn die Arbeitgeberin ihrer Initiativlast nicht nachgekommen ist. Dies gilt erst recht im gekündigten Arbeitsverhältnis. Denn hier kommt hinzu, dass die Arbeitgeberin durch die Kündigung zu erkennen gegeben hat, dass mit dem Eintritt des beabsichtigten Beendigungstermins keine Pflichten mehr aus dem Arbeitsverhältnis bestehen, die sie zu erfüllen hätte. Damit wird ein Arbeitnehmer abgehalten, seinen Jahresurlaub zu nehmen. Denn er muss damit rechnen, dass die Arbeitgeberin sich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruft, mindestens ihm aber das Urlaubsentgelt nicht zahlt und damit seinen Anspruch auf bezahlten Urlaub nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des EuGH[1] ist es mit dem unionsrechtlichen Urlaubsanspruch aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG aber nicht zu vereinbaren, dass ein Arbeitnehmer seinen Urlaub zunächst nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er einen Anspruch auf Bezahlung hat. Hat die Arbeitgeberin allerdings trotz der aus ihrer Sicht eingetretenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Initiativlast genügt, muss der Arbeitnehmer nicht mehr fürchten, dass die Arbeitgeberin ihm nur Urlaub ohne Zahlung des Urlaubsentgelts gewähren will.

 
Praxis-Beispiel

Die Arbeitgeberin versucht 2018 vergeblich, den Arbeitnehmer wirksam zu kündigen. Sie beschäftigt den Arbeitnehmer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens im Juni 2020 nicht. Dieser verlangt – nachdem der Kündigungsschutzklage rechtskräftig stattgegeben wurde – erstmals im Juli 2020 die Gewährung von 20 Tagen Erholungsurlaub für das Jahr 2019.

Lösung

Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage hat zwar regelmäßig nicht die Geltendmachung von Urlaubsansprüchen des Arbeitnehmers zum Inhalt.[2] Die Urlaubsansprüche können aber nur dann verfallen sein, wenn die Arbeitgeberin trotz der aus ihrer Sicht eingetretenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer klar und rechtzeitig mitgeteilt hat, dass der Urlaub am Ende des Urlaubsjahres oder eines Übertragungszeitraums (z. B. in Fällen der langen Erkrankung) verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt.[3] Dabei muss der Arbeitgeber klar darauf hinweisen, dass er trotz ausgesprochener Kündigung zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs bereit ist.[4]

Hat die Arbeitgeberin dieser Mitwirkungsobliegenheit genügt, hat der Arbeitnehmer seine Urlaubsansprüche konkret geltend zu machen. Zwar geht das BAG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Arbeitnehmer mit der Bestandschutzklage Ausschlussfristen für die vom Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses abhängigen Vergütungsansprüche wahrt, soweit die mündliche oder schriftliche Geltendmachung verlangt werde.[5] Diese Auffassung wird mit der Überlegung begründet, dass der Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage nicht nur das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses festgestellt wissen will, sondern für den Arbeitgeber erkennbar zugleich deutlich macht, er wolle die sich aus dem Fortbestehen ergebenden Entgeltansprüche sichern. Mittlerweile geht die Rechtsprechung einen Schritt weiter: Auch die oftmals in Tarifverträgen zu findende 2. Stufe einer Ausschlussfrist, die gerichtliche Geltendmachung für den Fall, dass der Anspruch auf die außergerichtliche Aufforderung i. S. d. 1. Stufe nicht erfüllt worden ist oder sich der Anspruchsgegner nicht geäußert hat, wird durch eine Bestandsschutzklage gewahrt.[6]

Die Geltendmachung von Urlaubsansprüchen ist damit aber nicht vergleichbar: Für die monatlichen Entgeltansprüche ist die Leistungszeit nach dem Kalender bestimmt; die Arbeitgeberin kommt ohne weitere Handlungen des Arbeitnehmers in Verzug (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Für den Urlaubsanspruch greift diese Vorschrift nicht ein. Der Arbeitgeber muss – sobald er seiner Mitwirkungsobliegenheit genügt hat – nicht von sich aus Urlaub gewähren.[7] Der Arbeitnehmer muss daher weiterhin den Urlaubsanspruch i. S. v. § 286 Abs. 1 BGB geltend machen.[8]

 
Hinweis

Das BAG hat im Jahr 2011 angedeutet, dass es an seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht als Geltendmachung von Urlaubsansprüchen anzusehen ist, möglicherweise nicht festhält[9]: Wenn der Arbeitgeber durch Ausspruch einer rechtsunwirksamen Kündigung in Annahmeverzug gerate, da er dem Arbeitnehmer bei einer ordentlichen Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist die Arbeitsmöglichkeit entzieht, spreche einiges dafür, diese Grundsätze künftig auch für die Kehrseite der Arbeitspflicht, nämlich die Befreiung hiervon durch Urlaubsgewährung anz...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge