Die Nachwirkung eines Tarifvertrags tritt nach § 4 Abs. 5 TVG ein, wenn er beendet ist. Ein Ende des Tarifvertrags liegt im Wesentlichen vor bei

  • Ablauf seiner vereinbarten Laufzeit,
  • ordentlicher Kündigung durch eine der Tarifvertragsparteien.

Wenn im unmittelbaren Anschluss ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen wird, tritt keine Unterbrechung ein. Tritt aber kein neuer Tarifvertrag oder erst mit zeitlichem Abstand in Kraft, stellt sich die Frage, welche Regelungen für das Arbeitsverhältnis gelten. Der bisherige Tarifinhalt wird nicht Inhalt des Arbeitsvertrags, sondern überlagert ihn nur. Mit dem Wegfall der Tarifnormen bei Ende des Tarifvertrags würde deshalb ein weitgehend inhaltsleeres Arbeitsverhältnis bestehen, da der Arbeitsvertrag regelmäßig nur Rahmenregelungen enthält.

Diesen Zustand verhindert § 4 Abs. 5 TVG, der die Fortgeltung des bisherigen Tarifinhalts bis zu einer anderen Abmachung anordnet. Das Arbeitsverhältnis unterliegt also den bisherigen Regeln des alten (beendeten) Tarifvertrags, bis diese durch eine neue Vereinbarung ersetzt werden. § 4 Abs. 5 TVG ist eine eigenständige Rechtsgrundlage für die Weitergeltung des bisherigen Tarifvertrags. Das BVerfG sieht in den Bindungen an den Tarifvertrag im Nachwirkungszeitraum keinen Verstoß gegen das Grundrecht der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG).[1]

Die Rechtsfolgen des § 4 Abs. 5 TVG werden auch dann herangezogen, wenn ein Betrieb aus dem tariflichen Geltungsbereich ausscheidet.[2] Ob dies auch bei Auflösung einer Tarifvertragspartei (Arbeitgeberverband) gilt, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden, aber wahrscheinlich.

Die Tarifvertragsparteien können die Nachwirkung eines Tarifvertrags im Wege der Vereinbarung ausschließen[3], ebenso kann eine Tarifvertragspartei durch einseitige Erklärung auf die Nachwirkung zugunsten ihrer Mitglieder verzichten.

Wird das Arbeitsverhältnis erst im Nachwirkungszeitraum begründet, findet der nachwirkende Tarifinhalt auf das Vertragsverhältnis keine Anwendung.[4]

 
Praxis-Beispiel

Keine Nachwirkung für neu eingestellte Arbeitnehmer

Der Arbeitgeber ist mit Wirkung zum 31.12.2010 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten, zu diesem Zeitpunkt endet auch der einschlägige Tarifvertrag. Für die bis zu diesem Zeitpunkt eingestellten (und tarifgebundenen) Arbeitnehmer wirkt der Tarifvertrag nach dem 31.12.2010 nach, d. h. seine inhaltlichen Regelungen gelten weiter fort. Mit einem nach dem 31.12.2010 neu eingestellten Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber schlechtere als die kraft Nachwirkung weitergeltenden Arbeitsbedingungen vereinbaren. Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz führt nicht zu einer Angleichung der Arbeitsbedingungen der neu eingestellten Arbeitnehmer, da die Bindung des Arbeitgebers an die sich aus § 4 Abs. 5 TVG ergebenden Rechtsfolgen einen sachlichen Grund darstellen.

Die Tarifvertragsparteien können keine bloß nachwirkenden Tarifnormen schaffen, d. h. sie sind nicht in der Lage, einen Tarifvertrag im Nachwirkungszustand zu ändern.[5]

Der Umfang der Nachwirkung ist abhängig vom Tarifinhalt, jedoch hat die höchstrichterliche Rechtsprechung des BAG zu einigen wichtigen Einzelfragen noch nicht abschließend Stellung genommen. Inhalts-, Abschluss- und Beendigungsnormen kommt uneingeschränkt Nachwirkung zu. Sie gelten, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

Der nachwirkende Tarifinhalt gilt nach Beendigung des Tarifvertrags solange weiter, bis er durch eine andere Abmachung ersetzt wird (§ 4 Abs. 5 TVG). Im Nachwirkungszeitraum behält der Tarifinhalt seine unmittelbare, aber nicht zwingende Wirkung. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers hat ein nur nachwirkender Tarifvertrag lediglich Überbrückungsfunktion und tritt hinter spätere Vereinbarungen zurück. Als andere Abmachungen kommen ein anderer Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder eine individualrechtliche Absprache in Betracht.

Die andere Abmachung i. S. d. § 4 Abs. 5 TVG muss nicht den gesamten bisher tariflich geregelten Bereich erfassen, sondern kann nur einzelne Normen oder Normenkomplexe eines Tarifvertrags betreffen. In diesem Fall gelten die nicht von der "anderen Abmachung" betroffenen Normen oder Normenkomplexe kraft Nachwirkung weiter.[6]

 
Praxis-Beispiel

Fortgeltung einzelner Regelungen

Im Tarifvertrag war ein Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen festgeschrieben. Im Nachwirkungszeitraum vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Reduzierung auf 27 Arbeitstage. Eine solche Absprache ist wegen der fehlenden zwingenden Wirkung des Tarifvertrags wirksam, im Übrigen (z. B. hinsichtlich Arbeitszeit, Vergütung) behält der nachwirkende Tarifvertrag aber seine Gültigkeit.

Eine andere Abmachung ist auf jeden Fall eine Vereinbarung, die nach dem Ende des Tarifvertrags geschlossen wird. Dagegen leben bisherige vertragliche Vereinbarungen, die vor Inkrafttreten des Tarifvertrags getroffen wurden und hinter dem kraft Nachwirkung geltenden Tarifinhalt zurückbleiben, im Nachwirkungszeitraum nicht wieder auf.[7] Wird eine Vereinbarung noch während der...

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