Ein (Arbeits-)Vertrag ist sittenwidrig, wenn er nach Inhalt, Beweggrund der Beteiligten und Zwecksetzung gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.

Über diese Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB wirken die Grundrechte in das Arbeitsvertrags- und Arbeitsrecht ein.

Über den Einzelfall hinaus hat sich die Fallgruppe der sog. Abwälzung des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos auf den Arbeitnehmer herausgebildet. Diese Fallgruppe beruht auf folgendem Grundgedanken:

Es ist das Wesensmerkmal des Arbeitsverhältnisses, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber lediglich seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen hat. Die Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs schuldet er gerade nicht. Deshalb partizipiert der Arbeitnehmer grundsätzlich auch nicht an dem unternehmerischen Erfolg, den der Arbeitgeber durch die Verwertung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers erzielt. Wenn er aber nicht an den Chancen beteiligt ist, die in der unternehmerischen Verwertung seiner Arbeitsleistung und seines Arbeitsergebnisses liegen, so soll er grundsätzlich auch nicht mit den Risiken belastet werden.

Ausgehend von dieser Grundüberlegung kann es sich als sittenwidrig darstellen, wenn der Arbeitnehmer durch arbeitsvertragliche Klauseln gleichwohl mit unternehmerischen Risiken belastet wird. So hat das BAG darauf erkannt, dass die Vereinbarung einer Verlustbeteiligung des Arbeitnehmers jedenfalls dann sittenwidrig ist, wenn dafür kein angemessener Ausgleich erfolgt.[1] Ebenso ist eine arbeitsvertragliche Bestimmung, nach der die Vergütung allein vom Gewinn eines Unternehmens abhängt, jedenfalls dann sittenwidrig, wenn während der Beschäftigungszeit kein Gewinn erzielt wurde und auch keine Aussicht darauf bestand.[2] Aus demselben Grund kann die Vereinbarung einer ausschließlich provisionsabhängigen Vergütung ohne Fixum und ohne Provisionsgarantie sittenwidrig sein. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer aus betrieblichen Gründen gar nicht in der Lage ist, den monatlichen Provisionsabschlag zu verdienen.[3] Für die Sittenwidrigkeit ist es ohne Bedeutung, ob sich der Handelnde der Vorwerfbarkeit seines Verhaltens bewusst ist.

In Arbeitsverträgen wird des Öfteren eine Pauschalierung von Überstunden- bzw. Mehrarbeitsvergütungen vereinbart, zum Beispiel durch die Formulierung:

"Im Gehalt ist die Vergütung für Überstunden (ggf. auch: bis zu 10 Stunden monatlich o. Ä.) enthalten."

Auch solche Klauseln können sich im Einzelfall als sittenwidrig erweisen!

Die Vereinbarung eines Pauschalbetrags zur Abgeltung geleisteter Mehrarbeit wird zwar ausgehend von dem Grundsatz der Vertragsfreiheit als zulässig erachtet. Ihre Grenze findet eine solche Abrede aber in § 138 BGB.[4] Hierbei lässt sich freilich allein aus dem Umstand, dass die Pauschale niedriger ist als die Mehrarbeitsvergütung bei Einzelberechnung, ein Schluss auf die Nichtigkeit der Pauschalvereinbarung noch nicht herleiten. Denn jede Pauschalierung bringt das Risiko mit sich, dass der pauschale Anspruch geringer ist als der, der sich bei exakter Abrechnung ergeben würde. Die Grenze ist erst überschritten, wenn die Pauschale im Verhältnis zu der zu leistenden Mehrarbeit derart niedrig ist, dass ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht.[5] Als Anhaltspunkt dürfte hierbei regelmäßig ein Vergleich zwischen dem unter Einbeziehung der Pauschale letztlich für die gesamte Arbeitsleistung gezahlten Entgelt und dem Lohnniveau anzustellen sein, das sich insbesondere nach den branchenüblichen Tarifverträgen aus Grundlohn zuzüglich Mehrarbeitszuschlägen ergeben würde.

Ist die Pauschalierungsabrede nichtig, tritt in Anwendung des § 612 Abs. 2 BGB an die Stelle des zu niedrigen Pauschalentgelts die übliche Vergütung, für deren Bestimmung wiederum die einschlägigen Tarifverträge maßgeblich sind.

[1] BAG, Urteil v. 10.10.1990, 5 AZR 404/89 unter Hinweis auf die frühere Entscheidung: BAG, Urteil v. 21.3.1984, 5 AZR 462/82.
[2] LAG Frankfurt, Urteil v. 19.6.1996, 8 Sa 430/95.
[4] LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 5.11.2002, 5 Sa 147c/02.
[5] So schon BAG, Urteil v. 26.1.1956, 2 AZR 98/54.

1.1.3.1 Wucher

Wucher ist eine besondere Ausprägung des sittenwidrigen Verhaltens. Unter den Begriff des Wuchers fällt ein Rechtsgeschäft, durch das jemand sich oder einem Dritten Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen. Als Grund für die Nichtigkeit der Vereinbarung wegen eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung kommen dabei sowohl ein Verstoß gegen den strafrechtlichen Wuchertatbestand gemäß § 134 BGB i. V. m. § 291 StGB als auch ein Verstoß gegen die guten Sitten gemäß § 138 BGB in Betracht. Innerhalb des § 138 BGB ist zwischen dem speziellen Wuchertatbestand des Absatzes 2 und dem wucherähnlichen Tatbestand im Rahmen der Generalklausel des Absatzes 1 zu unterscheiden. Sowohl der spezielle Straftatbestand als auch der zivilrechtliche Lohnwucher nach § 138 Abs....

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