Die deutschen Kampfregeln, aber auch die Frage, inwieweit sie überhaupt angesichts der völkerrechtlich übernommenen Verpflichtungen aufrecht erhalten bleiben können, kann man bei der rechtlichen Bewältigung des Phänomens "Streik um Firmentarifsozialpläne" insgesamt in Frage stellen. Die Rechtslage ist hier gleichwohl für die nationale Praxis im Wesentlichen geklärt. Tatsächlicher Hintergrund sind die immer wieder aufbrechenden kollektiven Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der unternehmerischen Absicht, einen Betrieb – aus welchen Gründen auch immer – stillzulegen oder durch die Kündigung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern wesentlich einzuschränken. Handelt es sich nicht um Kleinstunternehmen und ist ein Betriebsrat gewählt, sieht das Betriebsverfassungsgesetz in §§ 111, 112 BetrVG mehrere Pflichten des Arbeitgebers vor: Er muss mit dem – allerdings nicht erzwingbaren – Ziel einer Einigung über das Wie dieser Maßnahme (Interessenausgleich) mit dem Betriebsrat beraten. Er repräsentiert die gesamte Belegschaft nicht nur Gewerkschaftsmitglieder. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber zum Ausgleich für den Verlust der Arbeitsplätze einen – vom Betriebsrat erzwingbaren – Sozialplan abzuschließen. Von Seiten der Gewerkschaften, insbesondere der IG Metall, ist die etwa bei den Unternehmen Heidelberger Druckmaschinen, Otis, Daimler-Chrysler und AEG umgesetzte Strategie entwickelt worden, für den Fall solcher Absichten den Abschluss von Firmen-Tarifverträgen oder unternehmensbezogenen Verbandstarifverträgen[1] zu fordern. In ihnen sind zum Ausgleich für die bevorstehenden Arbeitsplatzverluste teilweise sehr hohe Abfindungszahlungen, erheblich verlängerte Kündigungsfristen sowie aufwendige Transfermaßnahmen[2] vorgesehen. Für den Abschluss solcher Tarifverträge wird dann typischerweise, was angesichts der existentiellen Gefährdung der betroffenen Arbeitnehmer naheliegt, mit erheblichem Engagement gestreikt werden. Die Versuche, solche Streiks im Wege der einstweiligen Verfügung zu unterbinden, sind gescheitert.[3] In seinem Urteil vom 24.4.2007[4] hat das BAG dann entschieden, dass derartige Streiks grundsätzlich rechtmäßig sind. An diese Entscheidung anknüpfend lassen sich die bereits behandelten Kampfregeln veranschaulichen:

  • Handelt es sich bei dem, was in Firmentarifsozialplänen geregelt werden soll, um rechtmäßig tariflich Regelbares?[5] Dies steht außer Frage, wenn es nicht um die dem Arbeitgeber vorbehaltene Frage geht, ob und mit welcher Intensität sich dieser (noch) am Wirtschaftsleben beteiligt, sondern um die Arbeitnehmerrechte bzgl. des Ausgleichs für den Verlust des Arbeitsplatzes und erweiterten Kündigungsschutz. Auch gegenüber einem verbandsgebundenen Arbeitgeber darf um den Abschluss eines derartigen Firmentarifvertrages gekämpft werden[6]; er verliert mit dem Verbandsbeitritt weder seine Tariffähigkeit noch die damit zusammenhängende Arbeitskampffähigkeit.
  • Es gibt auch keinen Vorrang für eine betriebsverfassungsrechtliche Bewältigung der Arbeitnehmernachteile durch Betriebsänderungen.[7] Interessenausgleich und Sozialplan haben hier keine exklusive Stellung. Das Gesetz legt zwar im Verhältnis zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung ausnahmsweise, was den betriebsverfassungsrechtlichen Sozialplan angeht, keinen Vorrang zugunsten des Tarifvertrags fest.[8] Es beschränkt sich aber auch nur darauf, das Nichtbestehen eines Vorrangs und nicht etwa dessen Umkehrung zugunsten der betrieblichen Regelung festzuschreiben. Im Umkehrschluss muss danach davon ausgegangen werden, dass Tarifverträge mit dem Regelungsgehalt eines Sozialplans statthaft sind.
  • Diskussionsbedürftig kann im Einzelfall nur sein, ob an sich statthafte Tarifforderungen[9] ein unverhältnismäßiges Volumen erreichen. Daraus könnte sich auch die Rechtswidrigkeit eines dafür durchgeführten Streiks ergeben. Angesichts der Dotierung mancher Sozialpläne, mit deren Hilfe "schlanke Belegschaften" erreicht werden sollen, erscheint ein solcher begrenzender Ansatz schon praktisch kaum handhabbar. Man muss gar nicht zusätzlich auf grundsätzliche Bedenken aus Art. 9 Abs. 3 GG: "(Tarifzensur") zurückgreifen. Denn die Höhe einer Tarifforderung kann von den Gerichten für Arbeitssachen in aller Regel nicht auf ihre Angemessenheit (Angemessen im Verhältnis wozu? Auf der Grundlage von wessen fachkundiger Bewertung?) überprüft werden.
  • Der letzte Punkt beleuchtet das schon kurz angedeutete grundlegende, möglicherweise System sprengende der rechtlichen Auseinandersetzung um Streiks, mit denen der Abschluss von Firmentarifsozialplänen angestrebt wird: Handelt es sich insoweit nicht vielleicht nur um Umgehungen des Verbots, Arbeitskämpfe um anderer als tariflich regelbarer Ziele Willen durchzuführen? Geht es den Kampfführenden nicht "in Wahrheit" um die Verhinderung der beabsichtigten Betriebsänderung? Das BAG hält eine Forschung nach inneren Motiven der Gewerkschaften oder letzten Absichten der unmittelbaren Streikteilnehmer in diesem Zusammenhang nicht für ge...

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