Streiks sind nur erforderlich, wenn die anderweitigen Verständigungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Der Streik muss "ultima ratio" sein. Die Verständigungsmöglichkeiten in Tarifverhandlungen müssen ausgereizt sein, eine Verständigung ohne den verstärkenden Druck eines Streiks muss ausgeschlossen erscheinen.

6.4.2.1 Besonderheiten beim Warnstreik?

Eine besondere Bedeutung hat diese Arbeitskampfregel im Zusammenhang mit der Diskussion um die sogenannten Warnstreiks. Bei diesen auf kurze Zeit befristeten Streiks geht es zumindest im Grundsatz vorrangig darum, der Gegenseite die Kampfbereitschaft einer möglichst großen Arbeitnehmergruppe für einen etwa erforderlich werdenden, länger andauernden Vollstreik zu signalisieren. Hierzu hat das BAG nach anfänglich anderer Beurteilung entschieden, dass Warnstreiks rechtlich ebenso zu behandeln sind wie Erzwingungsstreiks. Das ist schon deshalb richtig, weil kurze, als solche bezeichnete Warnstreiks nicht selten kurzfristig hintereinander geschaltet werden. So wird eine ganz ähnliche Wirkung wie bei einem Vollstreik erreicht.

Wegen der Gleichbeurteilung von Voll- und Warnstreik gelten auch für den Warnstreik die Friedenspflicht und das ultima-ratio-Prinzip. Zu ihm darf erst nach dem Ende des Tarifvertrags aufgerufen werden, dessen Gegenstände nun anders geregelt werden sollen. Zudem müssen, bevor zu ihm aufgerufen wird, die Verhandlungsmöglichkeiten ausgereizt sein. Allerdings wird letzteres nach der Rechtsprechung förmlich, verfahrensmäßig, bestimmt: Das ultima-ratio-Prinzip ist nicht verletzt, wenn nach autonomer, von den Gerichten für Arbeitssachen gerichtlich nicht nachprüfbarer Beurteilung der in Tarifverhandlungen eingebundenen Gewerkschaft Verhandlungen allein, ohne begleitenden Arbeitskampf, keine Aussicht auf Erfolg mehr versprechen. Es bedarf keiner förmlichen Erklärung des Scheiterns. Die Gewerkschaft, die zu Arbeitskampfmaßnahmen greift, und sei es auch "nur" zu einem Warnstreik, aufruft, bringt damit ihre Einschätzung der Situation zum Ausdruck. Sie hält offenbar die Möglichkeiten einer ausschließlich friedlichen Tarifauseinandersetzung für ausgeschöpft. Sie sieht keine Möglichkeiten, ohne die Anwendung von Arbeitskampfmitteln zu einem Tarifvertrag zu kommen.[1] Für diese Einschätzung gebührt ihr von Verfassungs wegen der Vorrang vor gerichtlicher Beurteilung.

Damit ergibt sich für die streikführende Gewerkschaft aus dem Gebot der Erforderlichkeit letztlich nur noch die auch gerichtlich nachprüfbare Pflicht,

  • vor Einleitung von Kampfmaßnahmen konkrete, das heißt auch: konkret beantwortbare, zustimmungsfähige Forderungen für den Inhalt des abzuschließenden Tarifvertrages zu erheben,
  • nach deren Ablehnung Verhandlungen zu beginnen, soweit diese nicht von vornherein vom angestrebten Vertragspartner abgelehnt werden,
  • und ein etwa vereinbartes, von Kämpfen frei zu haltendes Verfahren einzuhalten, das z. B. in Form einer Schlichtungsvereinbarung von den Tarifpartnern allgemein oder für den konkret anstehenden Konflikt einvernehmlich festgelegt worden ist.

Erst danach – und natürlich auch erst nach Ablauf der Friedenspflicht – kann der (Warn-)Streik beginnen. Hat der zu Tarifverhandlungen aufgeforderte soziale Gegenspieler allerdings von vornherein jede Verhandlung abgelehnt, ist ein Streik nach hinreichend spezifizierten Tarifforderungen sofort möglich. Wenn es keine allgemeine Schlichtungsvereinbarung der Tarifvertragsparteien gibt, muss ein Schlichtungsverfahren nicht in jedem Falle auf der Grundlage einer ad hoc getroffenen Vereinbarung durchgeführt werden. Die tendenziell anders lautende ältere Rechtsprechung ist überholt.

6.4.2.2 Kampfhemmung durch Schlichtung

Zum Erfordernis und den Möglichkeiten einer kampfhemmenden Schlichtung ist klarzustellen: Es gibt derzeit keine gesetzliche Zwangsschlichtung. Es ist also nicht von Gesetzes wegen geboten, dass die Tarifvertragsparteien vor einem Arbeitskampf einen selbst ausgewählten oder vom Staat zur Verfügung gestellten Schlichter oder einen Schlichtungsausschuss anzurufen, um zunächst mit dessen Hilfe eine friedliche Konfliktlösung zu finden. Es ist auch umstritten, ob eine solche Pflicht ohne Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG auferlegt werden könnte. Diskutiert wird dies insbesondere für Tarifauseinandersetzungen im Bereich der Daseinsvorsorge.[1]

Eine erhebliche praktische Bedeutung haben tarifautonom installierte Schlichtungsregelungen. Es gibt sie in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen auf der Grundlage der bestehenden tarifautonomen Gestaltungsfreiheit. So haben Tarifvertragsparteien Tarifverträge für das allgemeine Verhältnis zueinander abgeschlossen, in denen für das oder ein potentielles Konfliktfeld vereinbart worden ist, es müsse stets ein Schlichtungsverfahren zur Streitbeilegung durchgeführt werden. Es ist aber auch möglich, dass nur im Hinblick auf eine bereits ausgebrochene oder unmittelbar bevorstehende Tarifauseinandersetzung die Durchführung einer Schlichtung – förmlich oder formlos – vereinbart wird. Schlichtungsvereinbarungen beinhalt...

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