Im Ergebnis noch weitgehend ungeklärt ist die konkrete Rechtslage in den Kirchen, was deren Recht angeht, gegen ihre Einrichtungen gerichtete Streikmaßnahmen mithilfe der staatlichen Gerichte abzuwehren.

Die großen Kirchen beschäftigen in ihren Einrichtungen eine Vielzahl von Arbeitnehmern auf der Grundlage von Arbeitsverträgen. Zu diesen Einrichtungen gehören nicht nur die Kirchengemeinden selbst mit den von ihnen unterhaltenen Kindergärten, Sozialstationen o. Ä. Hierzu zählen auch die in rechtlich selbstständiger Trägerschaft, aber unter maßgebendem kirchlichen Einfluss stehenden Wohlfahrtseinrichtungen der Diakonie und der Caritas. Die dort begründeten Arbeitsverhältnisse richten sich im Grundsatz nach staatlichem Recht. Um die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten nach einem einheitlichen Regelwerk abzuwickeln, haben die großen Kirchen eigenständige Regelungsverfahren eingeführt. Sie sollen zu Arbeitsrechtsregelungen führen, die den beiderseitigen Interessen angemessen sind. Für den Weg zu solchen Regelungen haben beide Kirchen für einzelne Bereiche ihrer Betätigung und auch im Verhältnis zueinander im Einzelnen unterschiedliche Verfahrensbestimmungen getroffen. Man legt dabei die – wiederum im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltete – Regelungsmodelle zugrunde. Im sog. Zweiten Weg, der allerdings nur in einem kleineren Teil des Wirkungsbereichs der evangelischen Kirche praktiziert wird, werden mit Gewerkschaften als solche bezeichnete Tarifverträge abgeschlossen. Im ansonsten beschrittenen Dritten Weg führen Verhandlungen in paritätisch aus Dienstnehmer- und Dienstgebervertretern zusammengesetzten Kommissionen zu sog. Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR), die durch kirchenrechtlich vorgeschriebene (formular-)arbeitsvertragliche Bezugnahme Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge werden. Gemeinsam ist den kirchlichen Bestimmungen und Grundentscheidungen in diesem Zusammenhang zwar, dass die Koalitionsfreiheit der Beschäftigten gewährleistet wird. Streik und Aussperrung als Mittel der Interessenwahrnehmung werden aber ausgeschlossen. An deren Stelle tritt auf beiden angesprochenen Wegen ein besonderes, im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltetes Schlichtungsverfahren. Die Kirchen berufen sich für die Sonderwege des Zweiten und Dritten Weges und den geltenden Ausschluss des Arbeitskampfes auf die christliche Dienstgemeinschaft. Sie sei ein Strukturprinzip des kirchlichen Arbeitsrechts, in der alle Beteiligten gemeinsam den Auftrag Gottes in der Welt zu verwirklichen suchten. Sich diesem Auftrag auch nur vorübergehend zu verweigern, um geänderte Arbeitsrechtsregelungen zu erreichen, und das damit verbundene konfrontative Gegeneinander, seien dort ausgeschlossen.

Es war und ist fraglich, ob diese von den Kirchen eigenständig für ihre Einrichtungen aufgestellte Regel von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) auch in Ansehung des Art. 9 Abs. 3 GG vor den staatlichen Gerichten Bestand hat. Die genannten Verfassungsbestimmungen geben den Kirchen als korporative Ausprägung der individuellen Glaubensfreiheit des Art. 4 GG das verfassungsrechtlich garantierte Recht, ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten.

Das BAG hat hierzu erstmals grundlegend am 20.11.2012 entschieden, als mehrere Gewerkschaften in Einrichtungen der Evangelischen Kirche zum Streik aufriefen. Es hat dabei zwar die beiden von kirchlicher Seite anhängig gemachten Unterlassungsklagen abgewiesen. Es hat dabei aber die beiden Sonderwege der Kirchen mit ihrem grundsätzlichen Ausschluss des Rechts auf Arbeitskampfmaßnahmen im Grundsatz gebilligt. Es hat dabei allerdings die Notwendigkeit gesehen, zwischen der kirchlichen Verfassungsposition und Art. 9 Abs. 3 GG praktischen Konkordanz herzustellen. Es seien insbesondere im Dritten Weg bestimmte, noch nicht im Einzelnen festgelegte Voraussetzungen zu erfüllen, damit das kirchliche Streikverbot im staatlichen Raum wirken kann und von den Gerichten gewährleistet wird[1]:

  • Das – staatlich hinzunehmende – Strukturprinzip Dienstgemeinschaft rechtfertige es nicht, eine angemessene Mitwirkung der im allgemeinen Arbeitsleben zuständigen Gewerkschaften am Arbeitsrechtsregelungsverfahren des Dritten Weges zumindest faktisch auszuschließen. Es sei deshalb dort grundsätzlich geboten, die Gewerkschaften in einem ihrer Bedeutung angemessenen Umfang an den Kollektivverhandlungen in den arbeitsrechtlichen Kommissionen zu beteiligen. Wie das genau auszusehen hat, ist offengeblieben. Im Bereich der Katholischen Kirche hat man den zuständigen Gewerkschaften eine bestimmte Zahl von Sitzen in den Kommissionen angeboten. Ob dies ausreicht, ist offen. Die Gewerkschaft ver.di hat eine Teilnahme grundsätzlich abgelehnt, der Marburger Bund für die angestellten Ärztinnen und Ärzte hat zunächst teilgenommen, sich nun aber wieder zurückgezogen.
  • Die Rolle der Arbeitnehmerseite bei den Kollekti...

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