Führen Fernwirkungen von Arbeitskämpfen zur vorübergehenden (teilweisen) Unmöglichkeit, die in einem Drittunternehmen angestellten Arbeitnehmer zeitweise weiter zu beschäftigen, kann es zu Entlassungen oder zur Notwendigkeit kommen, die regelmäßige Arbeitszeit vorübergehend zu verkürzen. Fraglich ist, ob die von Arbeitgeber- wie von Arbeitnehmerseite finanzierte Bundesagentur für Arbeit berechtigt ist, diese mittelbaren Arbeitskampffolgen durch die Zahlung von Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld abzumildern.

Bei Störungen innerhalb des bestreikten Unternehmens wird die Frage allgemein verneint.[1] Für die Dauer des Streiks dürfen die wegen des Streiks entlassenen Arbeitnehmer, oder diejenigen, die infolge des Streiks nur mit verkürzter Arbeitszeit eingesetzt werden können, weder Arbeitslosengeld noch Kurzarbeitergeld erhalten.[2] Schwieriger ist die Rechtslage auch hier, wenn es um die Bewältigung derartiger Wirkungen in Drittunternehmen geht. § 160 Abs. 3 SGB III bestimmt hierzu, dass für Arbeitnehmer, die durch einen inländischen Arbeitskampf, an dem sie nicht beteiligt waren, arbeitslos geworden sind, der Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zur Beendigung des Arbeitskampfes nur dann ruht, wenn der Betrieb, in dem der Arbeitslose zuletzt beschäftigt war,

  • dem räumlichen und fachlichen Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrags zuzuordnen ist oder
  • nicht dem räumlichen, aber dem fachlichen Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrags zuzuordnen ist; darüber hinaus muss im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags, dem der Beschäftigungsbetrieb zuzuordnen ist, eine Forderung erhoben worden sein, die einer Hauptforderung des Arbeitskampfes nach Art und Umfang gleich ist, ohne mit ihr übereinstimmen zu müssen, schließlich muss das Arbeitskampfergebnis aller Voraussicht nach in dem räumlichen Geltungsbereich des nicht umkämpften Tarifvertrags im Wesentlichen übernommen werden.

Abstrakter gefasst: Von einer bestimmten, im Gesetz definierten tariflichen Nähe der mittelbar Betroffenen zum Arbeitskampfgeschehen kann unterstellt werden und wird vom Gesetzgeber unterstellt, dass die betreffenden Beschäftigten letztlich vom Ergebnis der Tarifauseinandersetzungen letztlich profitieren werden. Dann ruht deren Anspruch gegen die Agentur für Arbeit bis zum Ende des die Störung verursachenden Streiks.

Am 4.7.1995 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der eben inhaltlich wiedergegebene § 116 Abs. 3 Satz 1 AFG a. F., dem nun § 160 Abs. 3 Satz 1 SGB III entspricht, nicht gegen das Grundgesetz verstößt.[3] Der Gesetzgebers habe aber zu überprüfen, ob als Folge der Anwendung dieser Regelung strukturelle Ungleichheiten der Tarifvertragsparteien auftreten, die ein ausgewogenes Aushandeln der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht mehr zulassen und die durch die fachgerichtliche Rechtsprechung auch nicht ausgeglichen werden können. In diesem Fall müsse der Gesetzgeber Maßnahmen zur Wahrung der Tarifautonomie durch Wiederherstellung der als möglicherweise gestört angesprochenen Kampfparität treffen. Solches ist im Rahmen des § 160 SGB III bislang nicht geschehen. Dahin gehende Forderungen werden aber – nachvollziehbar – erhoben.[4]

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt die bereits zur Lehre vom Arbeitskampfrisiko aufgestellte These, dass eine vom Normalfall abweichende Verteilung des Wirtschafts- und Beschäftigungsrisikos seine Rechtfertigung nicht aus allgemeinen Solidaritätsgedanken, sondern unmittelbar aus der Tarifautonomie und der für deren Gewährleistung gebotenen Kampfparität erfährt.

[1] S.o. Abschn. 12.5.
[2] § 160 Abs. 2 SGB III; bei Kurzarbeit: in Verb. mit § 100 SGB III.
[3] BVerfG, Urteil v. 4.7.1995, 1 BvR 2/86 u. a.
[4] Kocher/Kädtler/Voskamp/Krüger, Noch verfassungsgemäß? Fernwirkungen bei Arbeitskämpfen in der Automobilindustrie und die Verfassungsmäßigkeit des § 160 Abs. 3 BGB, Frankfurt am Main 2017.

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