Ein bestreikter Arbeitgeber kann auch ohne auszusperren unter bestimmten Bedingungen die Beschäftigung einzelner Arbeitnehmer oder von Arbeitnehmern bestimmter Abteilungen seines Unternehmens und deren Bezahlung verweigern. Voraussetzung dafür ist, dass die Arbeit aufgrund von Streik verursachten Verhältnissen tatsächlich unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar geworden ist. Unter diesen Umständen befindet sich der Arbeitgeber hinsichtlich der ansonsten geschuldeten Beschäftigung nicht im Annahmeverzug. Er muss an arbeitswillige Arbeitnehmer, die er aus den genannten Gründen nicht – sinnvoll – beschäftigen kann, auch kein Arbeitsentgelt zahlen. Ist der streikende Teil der Belegschaft mit seiner Arbeitskampfmaßnahme so erfolgreich, dass jede Weiterarbeit im Betrieb für die verbliebenen Arbeitswilligen unzumutbar oder unmöglich ist, kann der Arbeitgeber seinen gesamten Betrieb stilllegen, sodass auch alle Arbeitswilligen keinen Entgeltanspruch haben.

Dies folgt aus der Lehre vom sog. Arbeitskampfrisiko. Sie tritt nach der überkommenen Rechtsprechung des BAG während eines Streiks an die Stelle der allgemeinen Betriebsrisikolehre. Nach dieser ist es grundsätzlich Sache des Arbeitgebers ist, die Voraussetzungen für eine wirtschaftlich sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeit derer zu schaffen, denen gegenüber er im Arbeitsvertrag die Pflicht zu Beschäftigung und Entgeltzahlung übernommen hat. Gelingt dies nicht, hat er grundsätzlich nach dieser Lehre der Risikozuweisung gleichwohl das versprochene Arbeitsentgelt zu zahlen. Die Arbeitskampfrisikolehre, die zu der anderen Rechtsfolge führt, hat ihren rechtfertigenden Hintergrund nicht im Gedanken der Solidarität der Arbeitnehmer, sondern wird aus Notwendigkeit einer Kampfparität hergeleitet. Es führe zu einer funktionswidrigen Disparität im Arbeitskampf, müsste der Arbeitgeber nicht nur den Produktionsausfall hinnehmen, sondern auch noch Arbeitsentgelte an die streikbedingt nicht mehr zu beschäftigenden, aber arbeitswilligen Arbeitnehmer auch ohne Arbeitsleistung weiterzahlen. Auf der Grundlage der allgemeinen Risikoverteidigungsregeln stünden der Arbeitnehmerseite einerseits sehr schädigungsintensive, andererseits für sie sehr kostengünstige Arbeitskampfstrategien (Schwerpunktstreiks!) zur Verfügung. Sie würden dere die ihre Verhandlungsposition nach der Einschätzung der überkommenen Rechtsprechung in einem Ausmaß verbessern würde, dass angemessene Ergebnisse von Tarifverhandlungen nicht mehr erwartet werden könnten.[1]

Die besondere Risikoverteilung im Arbeitskampf gilt nach der Rechtsprechung nicht nur zu Lasten von Arbeitnehmern, die zwar vom Streikaufruf mit umfasst sind, ihm aber nicht Folge leisten wollen, für die aber keine Möglichkeit zu tatsächlicher Beschäftigung besteht. Sie gilt rechtsähnlich auch bei Teilstreiks innerhalb eines Unternehmens sowie, was hier noch nicht vertieft wird[2], bei streikbedingten Beschäftigungshindernissen in Drittunternehmen.

Von Seiten der Gewerkschaften wird diese rechtliche Möglichkeit der Arbeitgeber als "kalte Aussperrung" bekämpft. Wer Beschäftigung und Bezahlung verweigern wolle, der solle aussperren. Die streikbedingte Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sei zudem häufig Folge unternehmerischer Fehlplanungen sei. Wer z. B. weitgehend auf Lagerhaltung verzichte, gehe bewusst das Risiko ein, dass es bei Teilstreiks zu weitgehenden Beschäftigungsstörungen komme. Für den Normalfall hat das BAG diesen Einwand bisher zurückgewiesen. Unternehmerische Fehldispositionen ist nach der relativ zurückhaltenden Rechtsprechung bislang nur Bedeutung beigemessen worden, wenn die Fehlentscheidung offensichtlich war und ihr der Verdacht anhaftete, Betriebsstockungen im Streikfall würden bewusst herbeigeführt.[3]

Die Weigerung, Arbeitswillige in bestreikten Betrieben oder Betriebsteilen zu beschäftigen, ist für den Arbeitgeber nicht unproblematisch. Er muss nämlich im Fall eines Prozesses um Annahmeverzugslohn im Einzelnen darlegen und beweisen, dass eine sinnvolle Beschäftigung der Arbeitswilligen unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar war und dass dies unmittelbare Folge der Arbeitsniederlegungen durch die Streikenden war. Gelingt dieser Nachweis nicht, schuldet erden Arbeitswilligen Annahmeverzugslohn.[4]

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