9.1 Rechtslage bei Vorliegen mehrerer Abtretungen

Bei mehrfacher Abtretung ist grundsätzlich nur die zeitlich erste Abtretung wirksam (Prioritäts- oder Präventionsgrundsatz).[1] Sie bewirkt den Gläubigerwechsel[2], sodass jede spätere Abtretung unwirksam ist, weil der Zedent bei der weiteren Abtretung nicht mehr zur Verfügung befugter Rechtsinhaber ist. Wenn der Arbeitnehmer sein Arbeitseinkommen an mehrere Gläubiger abtritt, ist die spätere Abtretung sonach unwirksam, soweit sie sich auf Einkommensteile oder auf eine Zeit bezieht, für die eine wirksame Abtretung bereits erfolgt ist. Der zweite Zessionar kann durch die nachfolgende Abtretung an ihn auch dann keinen Anspruch auf das Arbeitseinkommen erwerben, wenn er von der ersten Abtretung nichts gewusst hat. Wirksam ist die spätere Abtretung jedoch, wenn sie zulässigerweise[3] einen höheren Betrag (weitere abtretbare Einkommensteile) erfasst als die erste Abtretung oder soweit von ihr ein anderer Zeitraum betroffen wird als von der ersten Abtretung. Erlangt der Arbeitgeber aber zuerst von der zweiten Einkommensabtretung Kenntnis, so befreit ihn Zahlung an deren Neugläubiger von seiner Einkommensschuld in Höhe der Abtretung, falls ihm im Zeitpunkt der Zahlung die erste Abtretung nicht bekannt ist[4]. Nach Bekanntwerden der früheren Abtretung hat der Arbeitgeber jedoch weitere Zahlungen auf die zweite (später erfolgte) Abtretung einzustellen und – zuerst – den Neugläubiger aus der ersten Abtretung zu befriedigen. Werden dem Arbeitgeber verschiedene Einkommensabtretungen gleichzeitig angezeigt – was insbesondere bei Abschluss verschiedener Teilzahlungsgeschäfte der Fall sein kann – und betreffen alle Abtretungen den zukünftigen Lohn, so ist die Abtretung mit dem älteren Datum zuerst zu berücksichtigen; es gilt die Regel, dass, wer zuerst kommt, mahlt zuerst.[5] Erfasst die erste Abtretung einen niedrigeren Lohnbetrag als die zweite, so ist der Differenzbetrag an den Neugläubiger aus der zweiten Abtretung zu zahlen.

Wenn künftiges Arbeitseinkommen nicht abstrakt[6], sondern in der Weise abgetreten ist, dass Wirksamkeit und Dauer der Abtretung von Bestand und Umfang des Grundgeschäfts und der ihm entspringenden Forderung abhängig ist, erlangt mit Beendigung der ersten Zession[7] für die folgenden Lohnraten eine spätere Abtretung Wirksamkeit. Daher hat das Bundesarbeitsgericht[8] zutreffend wie folgt erkannt: "Bei mehrfachen Abtretungen künftiger Gehaltsansprüche sind die zeitlich späteren Abtretungen jedenfalls dann nicht unwirksam, wenn die mehreren Vorausabtretungen wegen und in Höhe bestimmter Schuldbeträge erfolgt sind und die zeitlich früheren Abtretungen vom Zedenten bei den nachfolgenden Abtretungen offengelegt werden. In solchen Fällen bestimmt der Grundsatz der Priorität die Rangfolge der mehreren Vorausabtretungen."

[1] S. BGH, Urteil v. 15.4.1998, VIII ZR 246/95, NJW-RR 1998 S. 1123; BGH, Urteil v. 24.11.1975, III ZR 81/73, mit weit. Nachw.
[3] Vgl. Abschn. 5.1.
[5] Vgl. für die Pfändung § 804 Abs. 3 ZPO.
[6] S. Abschn. 2.3.
[8] BAG, Urteil v. 19.7.1973, 2 AZR 464/72, AP Nr. 32 zu § 138 BGB, DB 1973 S. 2307, BB 1973 S. 1534 (Leits.).

9.2 Zusammentreffen von Lohnabtretung und Lohnpfändung

Arbeitseinkommen kann, soweit nach § 400 BGB gesetzlich zulässig, abgetreten[1] und in gleichem Umfang nach §§ 850 ff. ZPO gepfändet werden.[2] Voraussetzung ist, dass sowohl die Abtretung als auch die Pfändung wirksam sind. Ist die Abtretung unwirksam, ergibt sich aus dem zugrunde liegenden wirksamen Kausalgeschäft, z. B. dem Darlehensvertrag, kein vorrangiger Anspruch auf Befriedigung gegenüber dem pfändenden Dritten.[3] Treffen Abtretung und Pfändung zusammen, so ist zunächst zu prüfen, ob beide Verfügungen das Arbeitseinkommen in gleichem Umfang betreffen, sich mithin auf die gleichen Einkommensbeträge beziehen. Einkommensteile, die von einer Pfändung nicht erfasst sind (z. B. weil der Unterhaltsgläubiger bevorrechtigt nach § 850d ZPO gepfändet oder der pfändende Gläubiger seine Pfändung auf einen Betrag von monatlich 100 EUR beschränkt hat, mithin nicht alle nach der Tabelle des § 850c ZPO pfändbaren Bezüge in Anspruch nimmt) können ungeschmälert abgetreten werden. Ebenso können Einkommensteile, die von einer Abtretung nicht erfasst sind (Beispiel: einem Gläubiger sind monatlich 75 EUR abgetreten, das pfändbare Arbeitseinkommen beträgt monatlich 100 EUR mehr), noch gepfändet werden.

Erfassen Abtretung und Pfändung die gleichen Einkommensteile, z. B. bei Abtretung und Pfändung des gesamten Monatslohns im gesetzlich zulässigen Umfang, so entscheidet für die Reihenfolge der Befriedigung der einzelnen Gläubiger der Zeitpunkt des Wirksamwerdens von Abtretung und Pfändung. Eine Pfändung wird wirksam mit der Zustellung des Beschlusses an den Arbeitgeber als Drittschuldner[4]. Maßgeblich ist jedoch der Zeitpunkt einer Pfändungsbenachrichtigung, sofern die Pfändung rechtzeitig wirksam nachgefolgt ist[5].

Pfändung von bereits abgetretenen Arbeitseinkommen geht ins Leere

Wird bereits abgetretenes (fälliges oder künftiges) Arbeitseinko...

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