Wie gut sind virtuelle Weiterbildungen für Entgeltabrechner?

Die persönliche Beziehung zwischen Trainerin und Teilnehmenden ist ein essenzieller Grundstein für den Erfolg einer Weiterbildung - davon ist unsere Entgelt-Kolumnistin Christiane Droste-Klempp überzeugt. Doch wie schafft man persönliche Beziehungen in virtuellen Meetings voller ausgeschalteter Kameras und stummer Teilnehmender? Ein Bericht aus der Praxis.

Wir haben den 8. Oktober 2019, es ist 08:20 Uhr und die erste – im Vergleich zu mir sehr junge Teilnehmerin - kommt ganz entspannt in den Seminarraum eines sehr schön gelegenen Hotels in Hamburg. Sie begrüßt mich lächelnd, ist ein wenig aufgeregt und voller Erwartung auf die Schulung mit dem Titel "Grundlagen der Entgeltabrechnung", die um 09:00 Uhr beginnen wird. Die Tagungsassistenz hat ihr bereits gezeigt, wo sich Kaffee, Obst und die sanitären Einrichtungen befinden, so dass die Teilnehmerin mich fragt, ob ich ebenfalls einen Kaffee möchte. Sogleich entsteht eine persönliche Beziehung zwischen mir der Trainerin und der Teilnehmerin – ein wichtiger Grundstein für erfolgreiches Lernen.

Heute haben wir den 27. Juni 2022, es ist 08:51 Uhr und gleich um 09:00 Uhr geht eine Online-Schulung mit dem Titel "Grundlagen der Entgeltabrechnung" los. Von den 15 angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind erst vier mit ausgeschalteter Kamera und einem kurzen "Hallo" im virtuellen Schulungsraum eingetroffen. Pünktlich um 09:00 Uhr sind von den 15 Teilnehmenden immerhin 12 anwesend – zumindest erscheint der Name, die Kameras sind alle aus. Mit einem "Online-Intro-Spiel" beginnt die Vorstellungsrunde mit Kamera, die anschließend gleich wieder ausgeschaltet wird. Und ich frage mich, ob Teilnehmende sich in Präsenzveranstaltungen zeitweise hinter der Tür versteckt haben - eine wirklich persönliche Atmosphäre entsteht nicht …

Wie nachhaltig ist der Lernerfolg von Online-Seminaren tatsächlich?

Nicht, dass Sie der Ansicht sind, ich sei etwa gegen Online-Seminare – Nein! – im Gegenteil, schon lange vor Corona habe ich selbige angeboten und durchgeführt. Denn es gehen zig Vorteile mit diesen einher: Die Teilnahme ist ortsunabhängig, keine Reisekosten, perfekte Flexibilität bezüglich Dauer, Format und Durchführung – zudem keine schlaflosen Nächte in schlechten Hotelbetten, kein Problem mit der Kinderbetreuung und vieles mehr. Alles Punkte auf der Habenseite des virtuellen Lernens.

Jedoch ist es dringend an der Zeit - nach zwei Jahren intensiver Erfahrung - kritisch auf den direkten und nachhaltigen Lernerfolg zu schauen. Ganz besonders bei Fachseminaren. Sie fragen sich, aus welchem Grund ich den Schulungsbereich "Grundlagen der Entgeltabrechnung" und im Teaser eine "sehr junge" Teilnehmerin gewählt habe?

Diese Fragen will ich Ihnen auf Umwegen beantworten: Führe ich Fachschulungen online für erfahrene Entgeltabrechner zu Spezialthemen wie betriebliche Altersversorgung, Altersteilzeit oder Geldwerte Vorteile durch, dann werden zahlreiche Fragen gestellt und meist sind auch die Kameras angeschaltet, es wird eifrig diskutiert und gearbeitet. Für die Teilnehmenden, denen das Online-Format zusagt, ist es mit aktiver Mitarbeit möglich, die gleiche, wenn nicht sogar höhere Effizienz im Vergleich zu Präsenzveranstaltungen zu erzielen.

Mit persönlicher Beziehung auch virtuell den Lernerfolg sichern - nur wie?

Für diesen Lernerfolg ist – wie bereits erwähnt - zwingend die aktive Mitarbeit und auch bereits eine ordentliche Zeit von Berufserfahrung entscheidend. Erfahrene und aktive Entgeltabrechner haben an die Online-Schulungen eine ganz bestimmt Erwartung und diese wird zu Beginn klar und deutlich adressiert und will erfüllt werden. Diese aktiven und sichtbaren Teilnehmerinnen und Teilnehmer bestimmen allerdings auch stark die Inhalte und das Tempo – bei den unsichtbaren und unhörbaren Teilnehmenden ist es dem Trainer unmöglich zu erkennen, ob alle noch im gleichen Boot sitzen, was auf Nachfrage selbstverständlich mit "Daumen hoch aus der Dunkelheit" beantwortet wird.

Nun erkennen Sie es bereits selbst: Wie soll eine sehr junge, unerfahrene – womöglich noch neue - Mitarbeiterin in einer Online-Schulung "Grundlagen der Entgeltabrechnung", in dem lediglich die Trainerin zu sehen ist, ihre Erwartungen formulieren, die sie selbst noch überhaupt nicht kennen kann? Jetzt sind die persönliche Beziehung, Vertrauen und Bestärkung im kontinuierlichen Lernerfolg gefragt. Erklären Sie mir, wie dies mit einer ausgeschalteten Kamera und kaum bzw. sehr wenigen Fragen möglich ist. Selbstverständlich ist auch in Präsenzseminaren nicht jeder Teilnehmende super aktiv, aber sie sind sichtbar. Jeder Trainer hat die Möglichkeit, mit Empathie und Erfahrung über den Tag oder die Tage hinweg eine persönliche Beziehung aufzubauen und hierüber den Lernerfolg zu sichern.

Virtuelle Weiterbildungen: Formate bewusst an die Zielgruppe anpassen

Ich gebe Ihnen Recht, auch jetzt sind Trainer gefragt, sich persönlich weiterzubilden, die Teilnehmenden mit Übungen, Umfragen, Gruppenarbeit und kreativen Spielen aus der Reserve zu locken und einen sehr guten Lernerfolg sicherzustellen.

Meine Antwort: Aus meiner 20-jährigen Erfahrung als Präsenztrainerin weiß ich, dass gerade in der Weiterbildung von Grundlagen, die meist jungen Menschen vermittelt werden, die persönliche Beziehung der Garant für eine erfolgreiche und nachhaltige Wissensvermittlung ist. Eine solche persönliche Beziehung gleichwertig im Rahmen von Online-Schulungen aufzubauen ist nicht möglich. Persönlich im Gegenüber ist es jedoch möglich, unmittelbar und emphatisch Übungsverläufe zu beeinflussen, das Lerntempo Einzelner perfekt zu berücksichtigen und Lernfrustrationen direkt aufzufangen und aktiv gegenzusteuern.

Darüber hinaus können Ermüdungsphasen rechtzeitig erkannt und durch kleine Pausen kann gegengesteuert werden – überhaupt kann jeder Trainer erkennen, wie aufmerksam die Fachinhalte begleitet werden. All dies sind entscheidende Voraussetzungen für die hohe Qualität, die eine Weiterbildung haben sollte. Es sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass es jedem Menschen hin und wieder sehr gut tut, sich mit anderen Orten, anderen Menschen und anderen Gegebenheiten auseinanderzusetzen, denn dies ist ein weiterer Garant für erfolgreiches Lernen: dass wir insgesamt flexibel, interessiert und neugierig bleiben.

Es ist folglich ein Appell an uns Alle, nicht von einer unreflektierten Selbstverständlichkeit von Weiterbildungen in Präsenz in eine unreflektierte Selbstverständlichkeit von virtuellen Weiterbildungen zu wechseln. Machen wir es uns nicht zu leicht und schieben "Corona" alles in die Schuhe, sondern nutzen wir jetzt die Zeit, um zu überlegen, welche Formate (Online, Hybrid und/oder Präsenz) für welche Zielgruppe sinnvoll und möglich sind. Und werden wir jetzt aktiv, um unseren Nachwuchs, die so dringend gebrauchten Entgeltabrechnerinnen und Entgeltabrechner, fair, in Ruhe, persönlich und perfekt zu qualifizieren.


Christiane Droste-Klempp arbeitet im eigenen Unternehmen als Trainerin, Beraterin und Projektleiterin für sämtliche Themen des Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrechts und berät seit vielen Jahren Unternehmen bei der Auswahl und Umsetzung strategischer Personalmodelle.