Vergütungs- und Arbeitszeitrecht bei Betriebsratsmitgliedern

Neu und undogmatisch: So ordnet unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller eine aktuelle BAG-Entscheidung zur Arbeitszeit ein. Dabei ging es um die Einhaltung der Ruhezeit eines Betriebsratsmitglieds, der zwischen zwei Nachtschichten an einer Sitzung des Gremiums teilgenommen hatte.

Immer wieder ist das Bundesarbeitsgericht (BAG) für Überraschungen gut, wie beispielsweise gleich zum Auftakt in diesem Jahr mit der Pressemitteilung 1/17 vom 18. Januar 2017 (Az. 7 AZR 224/15): Ein Betriebsratsmitglied, das zwischen zwei Nachtschichten außerhalb der Arbeitszeit an Betriebsratssitzungen teilnimmt, ist danach berechtigt, die Arbeit vor Ende der vorgängigen Nachtschicht einzustellen – wenn nur dadurch eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden gewährleistet ist, in der weder Arbeitsleistung noch Betriebsratstätigkeit zu leisten ist (mehr zum Urteil lesen Sie hier).

Arbeit des Betriebsrats als Ehrenamt

Das BAG begründet dies damit, dass dem betroffenen Betriebsrat die Weiterarbeit unzumutbar sei, wenn bis zur Betriebsratssitzung die elfstündige Ruhezeit nicht einzuhalten ist. Nun, warten wir auf die Begründung der Entscheidung, um uns ein endgültiges Urteil zu bilden. Aber: Neu ist das schon und – zumindest was der Pressemitteilung zu entnehmen ist – recht undogmatisch.

Bislang durfte man der Meinung sein, Betriebsratsarbeit sei ein Ehrenamt. Korrigiert freilich um die Regelung aus § 37 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG): Ist aus betriebsbedingten Gründen die Betriebsratsarbeit außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen, besteht ein entsprechender Ausgleichsanspruch.

Ehrenamt: Arbeit ja, aber keine Arbeitszeit

Betriebsratsarbeit ist zwar ohne jede Frage Arbeit, aber keine Arbeitszeit – zumindest nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Diese Meinung hat sich mittlerweile eigentlich durchgesetzt (vergleiche etwa LAG Niedersachsen, Beschluss vom 20.4.2015, Az. 12 TaBV 76/14). Denn Schutzzweck des § 5 ArbZG ist es, sich eine angemessene Entspannung und Erholung sowie Entfaltung der Persönlichkeit außerhalb des Berufslebens zu verschaffen – also, zum Beispiel seinem Ehrenamt nachzugehen. Und wo ist da der Unterschied, ob dieses Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe liegt oder als Betriebsrat ausgeübt wird? Im Jahr 2015 stand das BAG jedenfalls noch zu dem Grundsatz des unentgeltlichen Ehrenamts.

Und dass Beschäftigte nicht wegen Übermüdung oder eines unregelmäßigen Arbeitsrhythmus sich selbst, Kollegen oder sonstige Personen verletzen und weder kurz- noch langfristig ihre Gesundheit schädigen sollen – das sollte doch für das gesamte Verhalten aller Beschäftigten gelten, gleich welcher Richtung das Ehrenamt ist.

Zudem sollten wir es wie immer halten: Vergütungs- und Arbeitszeitrecht laufen eben nicht immer parallel; für Vergütung und Zeitausgleich gibt es § 37 BetrVG, für die Arbeitszeit das ArbZG.

Zu wenig Ruhezeit: Erst Sitzung des Betriebsrats, dann Nachschicht

Die Fallkonstellationen, um die es geht, sind letztlich zwei: Ein Betriebsratsmitglied in Schichtarbeit hat im Fall 1 entweder weniger als elf Stunden Ruhezeit vor seiner Schicht Betriebsratsarbeit oder aber im Fall 2 weniger als elf Stunden hernach.

Die Situation des ersten Falls ist recht einfach zu lösen: Für jeden, der viel mit Betriebsräten zusammenarbeitet, ist schnell einsichtig, dass die Aufnahme einer vollen Schicht wenige Stunden nach einer langwierigen Sitzung – schlimmstenfalls gar mit Arbeitgebervertretern als Gegenüber – untunlich scheint. § 275 BGB gibt hier die Lösung: „Der Schuldner kann die Leistung […] verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann.“ Passt doch. Und der Vergütungsausgleich ergibt sich aus § 37 Abs. 3 BetrVG. Das würde auch für alle anderen Ehrenamtstätigkeiten passen – nur ohne Vergütungsanspruch eben.

Mangel an Ruhezeit: Erst Nachtschicht, dann Betriebsratssitzung

Anders Fall 2: Hier ist die Erbringung der Schicht keineswegs unzumutbar. Unzumutbar kann die Ausübung des Betriebsratsamts sein, wenn zwischen Schicht und Sitzung weniger als elf Stunden liegen. Und ob dies dann wirklich unzumutbar ist, hängt auch von zwei weiteren Faktoren ab: einmal von der Dauer und vom Inhalt der Sitzung – es sind also seherische Fähigkeiten erforderlich – und zum Zweiten, dass nach der Sitzung die Ruhezeit nicht einzuhalten wäre.

Allerdings: Wer sagt denn, wie lange die Betriebsratssitzung dauert, sodass hernach keine elf Stunden Ruhezeit mehr verbleiben? Was, wenn die Sitzung tatsächlich nur zwei Stunden dauert, diese aber noch in das zehn-Stunden-Kontingent – wenn es denn gilt – der vorangegangenen Schicht zuzurechnen sein kann und die nächste Schicht zum Beispiel noch zwölf Stunden entfernt ist? Dann geht ein Anspruch nach § 37 Abs. 3 BetrVG ins Leere, denn Ersatz für ausgefallene Arbeitszeit, die gar nicht hätte ausfallen brauchen, muss der Arbeitgeber ja wohl nicht leisten, oder?

Also: Es scheint zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die elfstündige Ruhezeit nach der Sitzung eingehalten werden kann. Dies kann dann aber nicht zum vorzeitigen Abbruch der Schichtarbeit berechtigen.

Betriebsrat: Vertretung statt vorzeitiger Feierabend

Ein anderer Lösungsansatz für Fall 2 wäre: Ist die Erbringung der Betriebsratsarbeit ohne Ruhepause zwischen Schicht und Betriebsratssitzung unzumutbar, so ist das betroffene Betriebsratsmitglied vorübergehend an der Amtsausübung gehindert – und zwar aus tatsächlichen Gründen, beispielsweise wegen des unbestreitbaren Schlafbedarfs. Die Folge wäre nicht der vorzeitige Abbruch der Schicht, sondern, § 25 BetrVG, die Vertretung dieses Betriebsratsmitglieds.

Das würde auch für andere Ehrenamtstätigkeiten passen: wer müde ist, geht nicht zur Sitzung – oder verlässt sie früher.

Weitere Folgen der BAG-Entscheidung?

Es bleibt also spannend, wie sich die Entscheidung des BAG auswirkt. Dazu bleibt es allerdings beim anfangs geschriebenen Satz: „Warten wir auf die Begründung der Entscheidung, um uns ein endgültiges Urteil zu bilden.“

Ich fürchte jedoch: Die Begründung wird nicht mehr Rechtsfrieden, sondern vermehrt Rechtsunsicherheit bringen.


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