Tarifeinheit: Verschiedene Tarifverträge der Gewerkschaften

Der Gesetzgeber wird im kommenden Jahr für einige Änderungen im Arbeitsrecht sorgen. Die Serie zum Jahreswechsel 2014-2015 enthält alle wichtigen Infos dazu. So erklärt Professor Martin Henssler die Tücken des geplanten Gesetzes zur Tarifeinheit sowie dessen Folgen für Unternehmen.

Haufe Online-Redaktion: Die Regierung hat zuletzt ein Gesetz zur Tarifeinheit auf den Weg gebracht, gleichzeitig haben kleine Gewerkschaften bereits Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Würden die Karlsruher Richter ein Gesetz in der momentanen Form akzeptieren?

Martin Henssler: Das glaube ich nicht, denn das Vorhaben ist aus meiner Sicht offensichtlich verfassungswidrig. Da ist es auch keine Lösung,  dass das Gesetz vordergründig keine Regelung zum Streikrecht enthält. Das ist eine Nebelkerze und verdeckt das eigentliche Problem.

Haufe Online-Redaktion: Wie meinen Sie das?

Henssler: Der Gesetzesentwurf soll die Tarifeinheit wieder einführen. Abgesehen davon, dass beispielsweise das Problem bei der Lufthansa gar nicht angegangen wird: Als Mittel zur Auflösung der Tarifpluralität sieht der Entwurf anstelle des Spezialitätsprinzips das Mehrheitsprinzip vor. Es setzt sich also ein Tarifvertrag der Gewerkschaft durch, die im jeweiligen Betrieb über die meisten Mitglieder in der Belegschaft verfügt. Eine zwangsläufige Folge der neuen Regelung in § 4a TVG, also dem Tarifvertragsgesetz, ist jedoch, dass ohnehin verdrängte Tarifverträge selbstverständlich nicht per Streik eingefordert werden können. Denn die mit einem Streik verbundenen Schädigungen des Arbeitgebers wären in jedem Fall unverhältnismäßig. Der entsprechende Eingriff in die Koalitionsfreiheit ist damit bereits im Gesetz angelegt. Daher hilft die Vorstellung der Regierung nicht, das Problem des Streikrechts nicht explizit im Entwurf zu erwähnen, sondern die zwangsläufige Einschränkung des Streikrechts in die Verantwortung des BAG zu verschieben. Zumal auch die Begründung des Referentenentwurfs von der Unzulässigkeit der Streiks ausgeht. Vor diesem Hintergrund unternimmt das Gesetz zu wenig, um diesen Eingriff in das Streikrecht der verdrängten Gewerkschaft einzuschränken.

Haufe Online-Redaktion: Ist der Betrieb der falsche Anknüpfungspunkt, um die Mehrheitsverhältnisse festzustellen?

Henssler: Es ist zumindest zweifelhaft, ob die betriebsbezogene Berechnung der Repräsentativität der richtige Ansatz ist. Es könnte zum Beispiel sachgerechter sein, auf die Mehrheitsverhältnisse im Unternehmen abzustellen. Die derzeitige Entwurfsfassung birgt nämlich Probleme: Je nach Betrieb können sich im Unternehmen die Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften durchsetzen. Dadurch kann in größeren Unternehmen mit verschiedenen Betrieben ein Flickenteppich von tariflichen Regelungen entstehen. Insofern dürfte tendenziell die künftige Situation zu unbefriedigenderen Zuständen führen, als dies momentan der Fall ist.

Haufe Online-Redaktion: Was müsste ein verfassungsrechtlich zulässiger Gesetzentwurf zur Tarifeinheit enthalten?

Henssler: Der Entwurf enthält ja auch einige zutreffende Ansätze, ist aber insgesamt in der aktuellen Fassung nicht gelungen. Richtig ist zunächst, dass es einer gesetzlichen Regelung bedarf. Die aktuellen Streiks zeigen, dass zumindest im Bereich der Daseinsvorsorge die geltende Rechtslage unbefriedigend ist. Sachgerecht wäre es jedoch gewesen, im Gesetzentwurf ein notwendiges Schlichtungsverfahren vorzuschalten. Kommt es absehbar dazu, dass Tarifverträge verdrängt werden, müssten alle im Betrieb vertretenen Gewerkschaften in ein solches Verfahren eingebunden werden. Dem Arbeitgeber ist es natürlich nicht verwehrt, ohne dieses Schlichtungsverfahren einen Tarifvertrag mit der repräsentativen Gewerkschaft zu vereinbaren. Schließt er einen solchen Vertrag, dann greift allerdings  nicht der Grundsatz der Tarifeinheit und die kleinere Gewerkschaft ist nicht gehindert, ihre Forderungen im Streikwege durchzusetzen.


Prof. Dr. Martin Henssler ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Universität zu Köln.

Hinweis: Das ausführliche Interview lesen Sie ab Mitte/Ende Januar in der Ausgabe 02/2015 des Personalmagazins.