Kolumne Arbeitsrecht: Schwerbehinderte zum Vorstellungsgespräch?

Einstellungen sind schwierig, nicht erst seit dem AGG. Zuletzt haben Unternehmen hier viele Prozesse an die zunehmenden Anforderungen von Gesetz und Gerichte angepasst. Keiner will diskriminieren. Ein Urteil sei aber über das Ziel hinausgeschossen, meint unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller.

Was machen Sie eigentlich mit einem Bewerber unter vielen, der schon nach Aktenlage für eine ausgeschriebene Stelle nicht geeignet ist? Laden Sie ihn zu einem Vorstellungsgespräch ein? Nach Lektüre der folgenden Zeilen werden Sie natürlich sagen: "Na klar!"

Der LAG-Fall: Einstellungstest nicht bestanden

Klar? Klar war mir das bis vor kurzem gar nicht so sehr. Aber, sehen wir uns die Rechtslage an: Das Landesarbeitsgericht Kiel (Urteil vom 9. September 2015, Az. 3 Sa 36/15) hatte über den Fall zu befinden, dass ein Bewerber, der durch einen vorgelagerten Einstellungstest gefallen war, überraschender Weise nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Die Ausschreibung beinhaltete die "Formalvoraussetzungen" – das war hier die Fachhochschulreife – und auch das Verfahren. Das heißt: Schon in der Ausschreibung wurde mitgeteilt, dass das Auswahlverfahren schriftliche und mündliche Teile erfasse und man nur dann eine Runde weiter komme, wenn man den vorgängigen Teil positiv erledigt hatte.

Der Bewerber hatte die Fachhochschulreife. Die Formalvoraussetzungen waren damit gegeben. Schon durch den ersten Eignungstest rasselte er durch. Konsequenter Weise wurde er nicht zu weiteren Tests und einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Und, das habe ich bisher verschwiegen: Der Bewerber war ein schwerbehinderter Mensch. Er klagte auf Schadenersatz wegen Benachteiligung nach § 7 Abs. 1 AGG. Und noch ein wichtiges Detail: Im konkreten Fall handelte es  sich um einen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes.

Schwerbehinderte: Chance zum Vorstellungsgespräch gewähren

Das Arbeitsgericht, und später das Landesarbeitsgericht, gaben der Klage im Umfang von zwei Monatsverdiensten statt. Einstellungsbewerber würden im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG benachteiligt, wenn ein Arbeitgeber ihnen die in § 82 Satz 2 SGB IX angeordnete Besserstellung gegenüber nicht schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerbern durch Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vorenthalte, obwohl ihnen im Sinne von § 82 Satz 3 SGB IX die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehle. Das bedeutet, dass der öffentliche Arbeitgeber einem schwerbehinderten Bewerber die Chance eines Vorstellungsgespräches gewähren muss, wenn seine fachliche Eignung zwar zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.

Ich möchte hier keine Zweifel aufkommen lassen: Die Diskriminierung schwerbehinderter Menschen ist nicht in Ordnung. Bedauerlicher Weise gibt es allenthalben Vorurteile, die der einen oder anderen Einstellung zweifellos entgegenstehen. Die Pönalisierung der Diskriminierung im Rahmen des AGG ist insoweit sicher gerechtfertigt. Ob damit das "Einladungsgebot" in § 82 Satz 2 SGB IX gerechtfertigt werden kann, ist nun einmal politisch so entschieden worden, trotz meiner anderweitigen Meinung.

Überraschung: Misslungener Eignungstest kein Beweis

Aber es gibt ja auch Satz 3 dieser Norm: "Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt". Das sollte man beim Durchrasseln durch einen Eignungstest doch eigentlich annehmen können. Zumal: Im Rahmen des AGG haben wir ja die abgestufte Beweislast. Der Bewerber muss also zunächst die "Indizien beweisen", dass eine Diskriminierung vorliege, § 22 AGG. Jetzt könnte man den Verstoß gegen § 82 Satz 2 SGB IX als ein solches Indiz werten.

Dann aber kann der Arbeitgeber auch beweisen, dass keine Diskriminierung vorlag. Man sollte meinen: durchgerasselt durch die Prüfung, passt doch. Aber anders das Gericht: „Die Beklagte hat die Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung nicht entkräftet“.

Das ist dann schon ein wenig überraschend. Bislang war mir nicht klar, dass eine nicht bestandene Prüfung die Eignung nicht offensichtlich negiert. Ein offenes Feld und endlich Hoffnung für zig durchgerasselte Examenskandidaten in Jurisprudenz und Medizin, Abitur und und und …

Benachteiligung? Liebes Landesarbeitsgericht...

…leider kann ich Sie, die Richter, nicht namentlich ansprechen, weil Ihre Name in der veröffentlichten Fassung ausgelassen ist. Ihr Ziel ist klar und das haben wir gemeinsam.  Aber hier haben Sie über selbiges hinausgeschossen – ein Bärendienst. Dann werden in Zukunft eben Einladungen gemacht werden (müssen). Aber glauben wir wirklich, dass das die Chancen einer diskriminierungsfreien Einstellung steigert? Im konkreten Fall hatte doch der Arbeitgeber alles gemacht um auch Benachteiligungen zu unterlassen und unter anderem eine längere Prüfungszeit eingeräumt. Was denn noch?

Öffentlicher Dienst: Der kleine Schritt zur Privatwirtschaft

Nun, meinen Sie, liebe Leser, als nicht öffentlicher Auftraggeber geht dieser Kelch an Ihnen vorbei? Schon richtig, § 82 SGB IX gilt für Sie nicht. Aber: Wenn der nicht bestandene Test nicht geeignet ist, die offensichtliche Ungeeignetheit im Sinne des § 82 Satz 3 SGB IX zu begründen, kann dies vielleicht bald auch für Sie einen Haken haben.

Dann ist es nämlich nur ein winzig kleiner Schritt dazu, dass der nichtbestandene Test auch nicht geeignet ist, den (Gegen-)Beweis im Sinne des § 22 AGG zu erbringen. Angenommen, dass im Einzelfall nicht ein einziger schwerbehinderter Mensch eingeladen würde. Und angenommen, ein Gericht schlösse aus dieser Tatsache das Indiz der Diskriminierung…

Schwerbehinderte: Einladen, na klar!

Was machen Sie nun also mit einem Bewerber, der von Anfang an seine Schwerbehinderung offenlegt? Na klar, sagte ich doch schon ganz zu Beginn: einladen!



Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BvAU), blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.