Kolumne Arbeitsrecht: Den Betriebsrat vergüten

Bei der Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder muss die mögliche Entwicklung ihres Gehalts mit berücksichtigt werden – eine Gesetzesvorgabe, die immer wieder Anlass für Fragen und Gerichtsentscheidungen ist, wie unser Arbeitsrechts-Kolumnist Alexander R. Zumkeller aufzeigt.

Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Das heißt, dass Betriebsräten für die Zeit erforderlicher Betriebsratsarbeit dasjenige Arbeitsentgelt fortzuzahlen ist, das sie verdient hätten, wenn sie in ihrem alten Job weitergearbeitet hätten.

Alles klar? Die Gretchenfrage lautet: "Was also hätte das betroffene Betriebsratsmitglied verdient, wenn es gearbeitet hätte?" Das Bundesarbeitsgericht hat in einer erst kürzlich veröffentlichten Entscheidung festgehalten, dass für diese hypothetische Berechnung die Methode zu wählen sei, "die dem Lohnausfallprinzip am besten gerecht wird" (BAG 29.04.2015 – Az. 7 AZR 123/13). Und "dabei sind die Besonderheiten des jeweiligen Vergütungsbestandteils zu berücksichtigen. Bei schwankenden Bezügen ist gegebenenfalls eine Schätzung nach den Grundsätzen des § 287 Absatz 2 ZPO vorzunehmen." - Aha.

Ausfallvergütung bei Bonus aufgrund Zielerreichung

Dass diese Vorgabe immer wieder Schwierigkeiten bereitet, zeigt ein Fall aus der Praxis. Dabei ging es um den Jahresbonus eines Klägers aus dem Vertrieb, der rund 25 Prozent seiner Arbeitszeit für seine Betriebsratstätigkeit aufwandte. Er erhielt einen Bonus in Höhe von knapp 83.000 Euro für seine reguläre Tätigkeit und einen zusätzlichen Bonus von rund 15.000 Euro für die ausgefallene Arbeit wegen Betriebsratstätigkeit.

Laut Dreisatz ist dies zwar nicht korrekt: Wenn für 75 Prozent 83.000 Euro zu zahlen sind, müsste der Arbeitgeber doch für die ausgefallenen 25 Prozent rund 28.000 Euro zahlen – und nicht nur 15.000 Euro.

Die Beklagte – die Arbeitgeberin des Betriebsratsmitglieds – war bei ihrer Berechnung jedoch recht systematisch vorgegangen: Sie hatte die Zielvorgabe des Klägers aufgrund der Betriebsratstätigkeit um 25 Prozent abgesenkt. Auf dieser Grundlage errechnete sie für den Anteil, der auf die Arbeit fiel, eine Zielerreichung von 179 Prozent; für den Anteil, der auf die Betriebsratstätigkeit fällt, lediglich rund 120 Prozent. Diese 120 Prozent entsprachen dem Durchschnitt der Zielerreichung aller Mitarbeiter.

Das klagende Betriebsratsmitglied forderte hingegen, dass die Zielerreichung von 179 Prozent auch auf die Berechnung des Bonus' für die "die letzte Meile" – also die restlichen 25 Prozent – angewendet werde. Somit hätte er rund 10.000 EUR mehr erhalten.

Ein klein wenig Urteils(begründungs-)Schelte

Das Landesarbeitsgericht hatte zunächst entschieden, dass die Berechnungsweise des Arbeitgebers unbeanstandbar gewesen sei. Anders entschied das BAG, das den Fall nun zurückverwies.

Das BAG argumentiert: Für die Annahme, der Kläger hätte ohne die Arbeitsbefreiung einen höheren als den tatsächlich erreichten Umsatz und damit einen höheren Zielerreichungsgrad erzielt, spreche der Umstand, dass der Umsatz und damit der Zielerreichungsgrad auch von dem Umfang der Arbeitsleistung des Klägers abhängt.

Mit dieser Prämisse allerdings geht das BAG fehl. Zwei personalwirtschaftliche Aspekte sprechen sogar gerade gegen diese Hypothese.

Erstens: das sogenannte Tournament-Prinzip, das solchen Regelungen immanent ist – dass erst überproportionale Anstrengungen sich auch überproportional auswirken. Häufig finden sich daher keine linearen, sondern exponentielle Prämienberechnungen. Dass aber ein Mitarbeiter in der Ausfallzeit gerade diese überproportionale Leistung erbracht hätte, ist keine valide Annahme, wenn er bei Absenkung des Solls einen hohen Zielerreichungsgrad geschafft hat. Im Gegenteil: Teilzeitbeschäftigte können bei entsprechend linear angepassten Zielen in einer nicht-linearen Provisionstabelle deutlich besser abschneiden als ihre Vollzeitkollegen.

Und zweitens verkennt das BAG Ursache und Wirkung, denn wie hier im Vertrieb fallen häufig Folgegeschäfte an – ohne, dass der Vertriebler dafür nochmals beim Kunden vorstellig werden müsste. Wird die Zielvorgabe verringert, ist damit eine sehr hohe Zielerreichung im verringerten Soll gut zu erklären.

Etwas mehr Mühe geben als den Durchschnitt berechnen

Das BAG gibt uns Praktikern aber den Hinweis: "Das Landesarbeitsgericht wird festzustellen haben, welchen Zielerreichungsgrad der Kläger erreicht hätte, wenn er nicht zur Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit von der beruflichen Tätigkeit befreit gewesen wäre. Da es um die Feststellung eines hypothetischen Sachverhalts geht, kann diese Feststellung in der Regel nur aufgrund von Hilfstatsachen, die in Verbindung mit Erfahrungsregeln einen indiziellen Schluss auf einen bestimmten Geschehensablauf zulassen, getroffen werden."

Und das BAG gibt ein paar Hinweise – darunter einen sehr wertvollen, den der Verfasser seit Jahrzehnten empfiehlt: "Ein Indiz für die hypothetische Zielerreichung des Klägers könnte sich auch aus einem Vergleich des vom Kläger in den Jahren vor der Übernahme des Betriebsratsamts durchschnittlich erfüllten Zielerreichungsgrads und des durchschnittlichen Zielerreichungsgrads der Vergleichsgruppe in dieser Zeit ergeben."

Leistung ins Verhältnis setzen

Die Leistung des Betriebsratsmitglieds aus der Zeit vor Eintritt in das Gremium soll also ins Verhältnis mit der Leistung seiner gleichartig beschäftigten Kollegen gesetzt werden. Angenommen, der Betriebsrat erzielt hier einen Bonus auf Platzziffer 25 von 75 – das heißt er bekommt den Bonus, der auf die Grenze zwischen erstem und zweiten Tertiär liegt –, würde er demnach, bei vergleichbarer Arbeitsleistung, auch bei Freistellung oder Teilfreistellung, auf dem 25. Platz rangieren.

Das könnte nun theoretisch aber dazu führen, dass der Mitarbeiter sich auf seiner Platzziffer ausruht. Aber nein, denn hier kommt eine interessante Facette in der Argumentation des BAG hinzu: Es lässt die Teilung des Bonus in "aktive" Arbeit und Ausfallzeit zu – und moniert nur, dass die im Fall angenommenen 120 Prozent des Durchschnitts der Beschäftigten nicht ohne weiteres gewählt werden dürfe.

Das heißt erstens: Die Vergütung für die 75 Prozent Arbeitszeit bleibt unberührt. Und zweitens: Wenn auf die Platzziffer 25 insgesamt 150 Prozent fallen, dann wären für die 25 Prozent Betriebsratstätigkeit eben diese 150 Prozent und nicht nur durchschnittliche 120 Prozent zu vergüten. Allerdings: Wenn Platzziffer 25 lediglich bei 90 Prozent landet, dann eben auch nur diese.

Lassen Sie uns nun mit Spannung auf die Entscheidung des LAG nach dieser Rückverweisung durch das BAG warten!


Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU eV). blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.

Schlagworte zum Thema:  Entgelt, Betriebsrat, Arbeitsrecht