Gesetzentwurf für neues Nachweisgesetz nicht praxistauglich

Können Gesetze an sich schlecht sein? Das fragt sich unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller angesichts des jüngsten Gesetzentwurfs zum Nachweisgesetz. Und meint: Hier war Praxistauglichkeit wohl nicht der Maßstab, von dem sich die Gesetzesmacher bei der Formulierung des Entwurfs haben leiten lassen.

Was zu viel ist, ist zu viel: Mittlerweile verkommen Gesetzentwürfe zu Produkten reiner Fantastereien. Wovon hier die Rede ist? Ich spreche von der Novelle des Nachweisgesetzes, dem jüngsten Gesetzentwurf der Bundesregierung. Dabei geht es nicht darum, ob der Inhalt als solcher politisch opportun scheint oder nicht. Ich habe zwar durchaus eine Meinung dazu (nein, er ist politisch nicht opportun, denn beispielsweise einer Ordnungswidrigkeitsbewehrung hätte es nicht bedurft, die bisherige Beweislastumkehr war schon schmerzhaft genug), aber die tut hier nichts zur Sache. Es geht hier um die Umsetzung eines solchen Gesetzes in der Praxis.

Neues Nachweisgesetz: Pest und Cholera zusammen

Hat man beim Lesen des Entwurfs die praktischen Prozesse in den Unternehmen vor Augen, dann entdeckt man einen Schenkelklopfer nach dem anderen:

Die Niederschrift ist "zu unterzeichnen". Das ist nicht neu – aber auch nicht modern (wollte die Bundesregierung nicht ein "modernes Arbeitsrecht"?). Es bleibt zu hoffen, dass eine Klarstellung erfolgt, dass die Textform ausreicht. Es wäre auch sinnwidrig, wenn ein Arbeitsvertrag bisher formfrei möglich war und nun plötzlich von den Formerfordernissen her der Beendigung (§ 623 BGB) des Arbeitsverhältnisses gleichgesetzt würde.

Das Enddatum muss nachgewiesen werden. Nun, bei Zeitbefristungen wäre das kein Ding der Unmöglichkeit. Aber bei einer Zweckbefristung, also beispielsweise bei einer Krankheitsvertretung, deren Ende zeitlich ungewiss ist? Dort ist das sachlich schlicht unmöglich.

Mit der Bundesregierung (es ist schließlich ihr Entwurf) scheinen die Gäule völlig durchgegangen zu sein, wenn sie vorgibt, dass "das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren" schriftlich niederzulegen ist. Ich versuche mich einmal an einer künftig in Verträgen festzuhaltenden Formulierung (wie gesagt: nicht ein einziger in Deutschland bisher ausgestellter Arbeitsvertrag hat diese Klausel): "Kündigt der Arbeitnehmer, hat er eine Frist von anfänglich vier Wochen zum 15ten oder Ende des Monats einzuhalten. Die Kündigung muss schriftlich mit eigenhändiger Unterschrift erfolgen und körperlich in den Machtbereich des Arbeitgebers gelangen. Kündigt der Arbeitgeber, hat er eine Frist von anfänglich vier Wochen zum 15ten oder Ende des Monats einzuhalten; hat das Arbeitsverhältnis zwei Jahre bestanden, beträgt diese Frist einen Monat zum Ende des Kalendermonats ..." (und so weiter, hier den § 622 Abs. 2 BGB abschreiben).

Tarifgebundene Arbeitgeber tun sich leichter, sie dürfen auf den Tarifvertrag verweisen – ein Verweis auf das Gesetz ist aber nach dem neuen § 2 Abs. 4 nicht (!) erlaubt. Weiter im Text: "Vor Ausspruch der Kündigung muss der Arbeitgeber den Betriebsrat ordnungsgemäß über die Personaldaten (muss hier noch aufgezählt werden, welche?), Kündigungsfrist und Kündigungsgründe unterrichten und um Zustimmung ersuchen; im Fall der ordentlichen Kündigung hat dies eine Woche, im Falle der außerordentlichen Kündigung drei Tage vor der beabsichtigten Kündigung zu erfolgen. Widerspricht der Betriebsrat gegen eine fristgerechte Kündigung, so wird der Arbeitgeber diesen Widerspruch dem Arbeitnehmer bekannt geben. Zudem muss der Arbeitnehmer im Falle (an dieser Stelle § 102 Abs. 2 BetrVG abschreiben) weiterbeschäftigt werden, wenn … (hier nun § 102 Abs. 5 BetrVG abschreiben). Sollte der Arbeitnehmer zwischenzeitlich eine Schwerbehinderung anerkannt bekommen haben oder einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden sein" … und so weiter und so weiter. Dann bitte noch die §§ 3, 4, 5, 6, 7 KSchG (über §§ 1a, 12 und 14 bin ich mir noch im Ungewissen) abschreiben, sicher aber § 17, und bitte nicht die Ergänzung vergessen "sollten Sie Betriebsrat, JAV-Vertreter oder ähnliches werden ...“ (dann § 15 KSchG abschreiben). Damit noch nicht genug: "Im Falle von interessenausgleichspflichtigen Maßnahmen …“ und so fort.

Geht es auch anders?

Das alles ist eine Bankrotterklärung – eine Bankrotterklärung des Gesetzgebers wohlgemerkt. Im Straßenverkehr muss auch nicht unter jedem Ortsschild oder jeder Geschwindigkeitsbegrenzung ein Nachweis hängen, was mir alles passieren kann, wenn ich mich nicht an das Tempolimit halte. Es gilt nicht nur der Grundsatz "iura novit curia" (das Gericht kennt das Recht), sondern auch, dass im Grundsatz jeder das Gesetz kennt. Leicht gemacht wird es den Beschäftigten letztlich auch durch die Aushangpflicht der arbeitsrechtlichen Vorschriften.

Als Praktiker verlange ich – und nein, ich bitte nicht mehr, ich schlage auch nicht mehr vor, ich verlange:

  1. Die Textform muss ausreichen.
  2. Allgemeine Hinweise müssen nicht nur auf Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen möglich sein, sondern auch auf Gesetze.
  3. Es muss eine klare Vorgabe geben, wie die neue "Nummer 14" – das Verfahren bei Kündigung – auszusehen hat (eine Muster-Textfassung also).

Geht es noch?

Und noch ein echter "Hammer": Alle Beschäftigten (letztlich betrifft es tatsächlich alle, weil diesen Anforderungen bisher nicht ein einziger Nachweis oder Vertrag genügt) sollen den Anspruch auf eine entsprechende Ausfertigung innerhalb von sieben Tagen nach Verlangen haben. In einem Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten, die im Worst Case alle am gleichen Tag ihren schriftlichen Nachweis begehren, heißt das: 200 Bescheinigungen pro Tag. Bei einem Achtstundentag sind das 25 Nachweise je Stunde. Selbst bei einer von der Bundesregierung fälschlicherweise angenommenen Dauer von nur drei Minuten pro Nachweis ist das nicht zu schaffen – sachlich schlicht unmöglich.

Ich denke, dass jedenfalls eines klar wurde: Es wird nicht einfach werden, einen "richtigen" Nachweis zu erstellen. Aber das Grauen kommt erst noch: Ein "nicht richtiger" Nachweis zieht ein Bußgeld nach sich! Hierüber wird letztlich ein Verwaltungsrichter zu entscheiden haben, dem das Arbeitsrecht typischerweise so fremd ist wie mir als Arbeitsrechtler das Ordnungswidrigkeitsverfahren. Also ganz gleich, was die Bundesregierung vielleicht noch als "richtig" akzeptieren würde: Ob der Verwaltungsrichter in die Gesetzesbegründung blickt und bei Erfüllung der dort genannten Umschreibungen Milde walten lässt, scheint ungewiss.

Fast schon Gewohnheit: Maßlose Untertreibung der Belastung der Wirtschaft

Vollends aus dem Reich der Fabeln und Fantasien ist die – aber das sind wir ja bereits gewohnt – an jeder Realität vorbeischliddernde Beurteilung des "Erfüllungsaufwands für die Wirtschaft". "Es wird angenommen, dass bei Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrages die wesentlichen Vertragsbedingungen in der Regel bereits enthalten sind." Diese Annahme stimmt für das bisher geltende Nachweisgesetz, aber – und da bin ich mir sicher – in nicht einem einzigen Fall für das novellierte Nachweisgesetz. Das bedeutet, alle bisher ohne und mit schriftlichem Arbeitsvertrag Beschäftigten haben Anspruch auf einen (neuen) Nachweis!

Nach den geschilderten Schwierigkeiten ist keinesfalls eine, wie es die Bundesregierung annimmt, "Person mit mittlerer Qualifikation" zu einem Stundenentgelt von 32,30 Euro in der Lage, die Nachweise zu erstellen, sondern es wird schon eine qualifizierte Kraft sein müssen, die sicher nicht unter 50 Euro in der Stunde zu haben sein wird (Weihnachts- und Urlaubsgeld mit berücksichtigt). Der Aufwand des Erstellens wird nicht drei Minuten benötigen, sondern - selbst wenn eine Vorlage besteht - 30 Minuten (ich habe es ausgetestet; Tarifgebundene tun sich zugegebenermaßen leichter als Ungebundene, wegen der dann möglichen Tarif- und Betriebsvereinbarungsverweise). Die Rechnung ist klar: Die Arbeitgeber müssen im Worst Case allen Beschäftigten einen Nachweis ausstellen, das wären rechnerisch 50 Euro * 0,5 Stunden * 45 Millionen Beschäftigte = 1.250 Millionen Euro. Schlapp das 250-fache (!) der Annahme der Bundesregierung.

Ach ja: Die Änderung der Vorlage, die harmlos mit 21 Minuten (wer bitte hat das im Ministerium geschafft? 21 Minuten klingt wie mit der Stoppuhr gemessen. Keiner hat das tatsächlich ausgetestet. Reine Fantasiezahlen werden hier in eine Gesetzesbegründung geschrieben) angesetzt wird bei vermeintlich nur 10 Prozent der Unternehmen (wie gesagt: alle wären betroffen!), ist noch gar nicht eingerechnet …

Und (mit) das Schlimmste: Die Beschäftigten haben nicht einmal etwas davon!

Als ob die Arbeitgeber durch Kurzarbeit (häufig mit Zuschuss durch den Arbeitgeber), Lieferkettenengpässe, dem anstehenden Sorgfaltspflichtengesetz und dergleichen mehr nicht schon genug gebeutelt wären. Aber ein Trost: Sachlich unmöglich umzusetzende Gesetze muss man ja nicht umsetzen. Das verlautbarte zumindest im Zusammenhang mit der Covid-Gesetzgebung der Ministerpräsident eines nicht näher zu bezeichnenden Freistaates. Oder liege ich da falsch?

Zurück zur Anfangsfrage: Gibt es schlechte Gesetze? Schwer zu sagen. Aber eines gibt es: Schlecht gemachte Gesetze. Sogar ganz besonders schlecht gemachte Gesetze – wie das hier vorliegende, wenn dieser Entwurf umgesetzt werden sollte.


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.


Schlagworte zum Thema:  Arbeitsvertrag, Gesetz, Gesetzgebung, Arbeitsrecht