Gesetze zur Energiepreisbremse sorgen für Unklarheiten

Die neuen Gesetze zur Einführung von Preisbremsen bei Erdgas und Wärme sind in Kraft getreten. Nach Einschätzung unseres Kolumnisten Alexander R. Zumkeller hat der Gesetzgeber darin wieder einmal mehr Fragen offengelassen als Antworten gegeben.

Nun sind sie da, die Gesetze zur Einführung von Preisbremsen für leitungsgebundenes Erdgas und Wärme (darin in Artikel 1 das Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz - EWPBG) und das Gesetz zur Einführung einer Strompreisbremse (darin in Artikel 1 das Strompreisbremsegesetz - StromPBG).

Ich will hier nicht auf die politische Sinnhaftigkeit eingehen. Ich persönlich werde tendenziell keinen Nutzen daraus ziehen können, da meine (gerade noch "rechtzeitig") abgeschlossenen langfristigen Verträge unter den "geschützten" Limits liegen. Das ist persönliches Pech, aber wenigstens zahle ich mit meinen Steuern das Unglück derjenigen, die sich nicht um günstige Verträge gekümmert hatten. 

Ich will hier auch nicht auf das meines Erachtens verfassungswidrige Bonus- und Dividendenverbot eingehen, das letztlich einen enteignungsgleichen Eingriff in privatrechtlich bindende Verträge darstellt.

Die Arbeitsplatzerhaltungspflicht als Voraussetzung für eine Förderung

Erlaubt seien mir aber einige praktische Erwägungen zur Arbeitsplatzerhaltungspflicht in diesen Gesetzen: Das Strompreisbegrenzungsgesetz ist letztlich gleichlautend (wenigstens das) mit dem Gaspreisbremsengesetz. Erforderlich ist entweder eine Betriebsvereinbarung oder ein Tarifvertrag zum Arbeitsplatzerhalt, oder eine Erklärung, warum solche kollektivrechtlichen Vereinbarungen nicht zustande kamen, verbunden mit einer Selbstverpflichtungserklärung. Der Nachweis muss bis zum 15. Juli 2023 vorgelegt werden.

Fangen wir mit den einfachen Themen an: eine Kopie der Vereinbarung reicht aus, ein Original muss nicht vorgelegt werden – das Gesetz sieht das nicht vor. Der Arbeitsplatzerhalt ist so geregelt, dass 90 Prozent des FTE, also des Vollzeitäquivalents, den gesamten Zeitraum bis 30. April 2025 bestehen bleiben muss. Ein Unterschreiten an auch nur einem Tag rechtfertigt eine Kürzung.

Was ist ein FTE?

Aber jetzt die Unklarheiten: Was sind Vollzeitäquivalente? Die Frage scheint einfach zu beantworten zu sein, aber das täuscht. Klar, in einem Betrieb mit nur 40-Stunden-Vollzeitkräften ist ein FTE 40 Stunden. Aber beispielsweise in der Metall-Industrie mit einer Arbeitszeit von 35 Stunden (West) können komplexe Fragen auftreten. Was ist beispielsweise, wenn es eine Reihe von Beschäftigten mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden in einem Betrieb gibt und der Arbeitgeber von der tariflichen Möglichkeit Gebrauch macht (etwa um eine Krise zu überwinden) die Beschäftigten mit 40 Stunden auf 35 Stunden zurückzuführen?

Gelten die Vollzeitbeschäftigten mit 40 Stunden als je ein FTE, dann wäre das unproblematisch. Wertet man sie wegen der tariflichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden aber als 1,14 FTE, könnten je nach Umfang der Maßnahme (und gegebenenfalls weiterer Maßnahmen) schnell die 20 Prozent erreicht werden.

Oder wie ist es zu werten, wenn im Rahmen einer Beschäftigungssicherung vereinbart wird, dass die Beschäftigten 21 Prozent weniger arbeiten (vielleicht sogar mit teilweisem Entgeltausgleich)? Wäre das ein Absenken der FTE? Betriebswirtschaftlich ein klares "Ja" – aber wie sieht es der Gesetzgeber? Und diese Fragen können existenzielle Bedeutung haben, denn es geht um mögliche Verluste in Millionenhöhe.

Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag

Doch weiter im Gesetzestext: Verlangt wird eine Betriebsvereinbarung oder aber ein Tarifvertrag. Nun erfasst ein Tarifvertrag nur Tarifbeschäftigte. Was ist mit Beschäftigten, für die der Tarifvertrag nicht gilt? Es gibt Branchen, in denen die außertariflichen Beschäftigten zahlenmäßig die Tarifbeschäftigten übersteigen. Eine "halblebige" Tarifregelung reicht dem Gesetzgeber also aus?

Das ist von großer Bedeutung, denn bei einer Rückforderung der erhaltenen Förderung soll diese prozentual der Höhe der Unterschreitung der vereinbarten oder zugesicherten Zahl an zu erhaltenen Arbeitsplatz-Vollzeitäquivalenten entsprechen. Vereinbart oder zugesichert sind ja nur die Arbeitsplätze der Tarifbeschäftigten … Mit einer Betriebsvereinbarung würde man tendenziell 98 Prozent der Belegschaft erfassen (nur eben die Leitenden Angestellten nicht), aber das Gesetz lässt die Wahl zwischen einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung!

Tarifverhandlungen im Hauruckverfahren?

Dann wäre da noch die Frist, auch so ein Thema. Hat der Gesetzgeber jemals einen Tarifvertrag abgeschlossen? Ich behaupte: nein. Entwurf, Beratungen, Verhandlungen (dabei wird im Zweifel nicht nur über den Arbeitsplatzerhalt verhandelt), Einberufen der Tarifkommission, all das braucht Zeit. Der Praktiker weiß, dass hier schnell einige Monate vergehen.

Und viele Unternehmen wissen heute noch nicht, ob sie überhaupt unter die Regelung (ab einer Vergünstigung von mehr als zwei Millionen Euro) fallen, da die Energieversorger in der Regel nicht in der Lage sind, derzeit entsprechende Auskünfte zu erteilen. Im besten Fall startet man also die Tarifverhandlungen im März, begleitet von großen Zweifeln, ob bis Juli eine Vereinbarung vorgelegt werden kann.

Unklarheiten beim Arbeitsplatzerhalt

Was genau ist mit Arbeitsplatzerhalt eigentlich gemeint? Nehmen wir an, ein Unternehmen muss – um im Rahmen der 20 Prozent zu bleiben – 17 Prozent der Belegschaft abbauen. Interessenausgleich, Sozialplan, Beginn freiwilliger Maßnahmen.

Nun passiert, was nicht ausgeschlossen werden kann und nicht unwahrscheinlich ist: neben den Maßnahmen, die der Arbeitgeber einleitet, treten vier Prozent der Belegschaft aus, weil sie ein (vielleicht nur vermeintlich) "sinkendes Schiff" verlassen wollen und der Arbeitsmarkt derzeit brillant für sie ist. Der Unternehmer schreibt diese Arbeitsplätze vielleicht sogar neu aus und dokumentiert, dass die Sollzahl der FTE nicht um mehr als 17% gesenkt werden sollte, schafft es aber bis 25. April 2023 nicht, entsprechend viele neue Mitarbeiter wieder onzuboarden. Was nun?

Energiepreisbremsen: Mehr Fragen als Antworten

Wie gesagt, die politischen Absichten hinter dem Gesetz sind sicherlich lauter und ehrenwert. Aber wieder einmal hat der Gesetzgeber hier ein Gesetz geschaffen, das im Zweifel mehr Fragen offenlässt (spontan ergäben sich noch Fragen zum Betriebsübergang oder zur Betriebsspaltung oder zu sonstigen Konstellationen, zu denen das Gesetz keine Anhaltspunkte liefert) als es Antworten gibt. Einmal mehr fragt der Praktiker: muss das sein? Warum fallen mir diese Fragen sofort bei der Lektüre des Gesetzes ein, aber im Gesetzgebungsverfahren scheinbar niemandem?

Ganz sicher ist dieses Gesetz nicht so – ja, man kann es nicht anders ausdrücken – unlauter, wie die Novelle zum Nachweisgesetz aus dem letzten Jahr, welche gewisslich die goldene Zitrone für schlechte Gesetze verdient hat. Es macht aber einmal mehr deutlich, wie einfach es für den Gesetzgeber ist, ein Gesetz zu verabschieden, das direkt zum Anwärter für die goldene Zitrone wird. Schade.


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.