Arbeitszeiterfassungssystem: Pflicht für Arbeitgeber

Arbeitgeber haben schon jetzt die Verpflichtung zur Einrichtung eines objektiven Systems zur Arbeitszeiterfassung, urteilte das Arbeitsgericht Emden. Dies führte zum Erfolg der Zahlungsklage eines Bauhelfers, da der Arbeitgeber mit einem Bautagebuch seiner Darlegungs- und Beweislast nicht genügen konnte.

Fast ein Jahr ist seit dem viel beachteten Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Arbeitszeiterfassung vergangen. Die Richter entschieden im Mai 2019, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. (Lesen Sie dazu: EuGH schafft neue Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für Unternehmen).

Damit war klar, dass auch in Deutschland Arbeitszeitmodelle angepasst werden müssen. Doch nach überwiegender Meinung hieß das zunächst abwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung ausgestaltet – was bisher nicht erfolgt ist. Eine erste arbeitsgerichtliche Entscheidung zeigt, dass Unternehmen das Warten auf den Gesetzgeber überdenken sollten: Das Arbeitsgericht Emden hat in einem Vergütungsprozess eine unmittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Arbeitszeiterfassungssystem aufgrund der EU-Grundrechts-Charta angenommen - mit erheblichen Folgen für den Arbeitgeber.

Streit um zeitlichen Umfang erbrachter Arbeitsleistungen

Der ungelernte Bauhelfer war im Zeitraum von September bis November 2018 auf zwei Baustellen des Arbeitgebers eingesetzt. Der Arbeitgeber vergütete ihm hierfür 183 Arbeitsstunden à 13 Euro. Zu wenig aus Sicht des Arbeitnehmers. Er verlangte die Vergütung von 195 geleisteten Arbeitsstunden. Dazu verwies er auf eigene handschriftliche Aufzeichnungen der Stunden.

Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung und verwies seinerseits darauf, dass die Stundenanzahl mithilfe eines Bautagebuchs erfasst wurde. Diese seien bei Arbeitsbeginn und Arbeitsende dort eingetragen worden. Die Fahrtzeiten von und nach Hause würden nicht bezahlt.

Zahlungsklage erfolgreich: Arbeitszeiten gelten als zugestanden

Die Zahlungsklage des Bauhelfers hatte vor dem ArbG Emden Erfolg. Das Gericht entschied, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Vergütung von 195 Stunden, also auf zusätzliche 156,65 Euro habe. Die Entscheidung begründeten die Richter damit, dass der Arbeitnehmer seiner Darlegungs-und Beweislast in ausreichendem Maße nachgekommen sei, der Arbeitgeber dagegen nicht. Der Sachvortrag des Arbeitnehmers gelte somit nach § 138 Abs.3 ZPO als zugestanden.

Substantieller Vortrag des Arbeitgebers fehlt 

Die Richter verwiesen in der Begründung auf die abgestufte Darlegungs- und Beweislast im Vergütungsprozess. Danach muss der Arbeitnehmer zunächst vortragen und darlegen, "an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat". Danach obliegt es dem Arbeitgeber, sich seinerseits substantiiert zum Vortrag des Arbeitnehmers zu erklären, ansonsten gilt der Sachvortrag des Arbeitnehmers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Aus Sicht des Gerichts reichte der Vortrag des Arbeitgebers nicht, um seiner Darlegungs- und Beweislast zu genügen.

Arbeitgeber ist seiner Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht nachgekommen

Die Richter begründeten die Entscheidung damit, dass der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Einrichtung eines "objektiven", "verlässlichen" und "zugänglichen" Systems der Arbeitszeiterfassung nicht nachgekommen sei. Eine entsprechende Pflicht dem Arbeitnehmer gegenüber folge aus Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta. Die vom Arbeitgeber vorgelegten, gedruckten Auswertungen des Bautagebuchs hielt das Gericht für ungeeignet und nicht ausreichend. Es machte deutlich, dass der Arbeitgeber mangels eines Arbeitszeiterfassungssystems keine objektiven und verlässlichen Daten habe vorlegen können, anhand derer sich die Arbeitszeiten des Klägers nachvollziehen lassen würden.

Arbeitszeiterfassung: Unmittelbare Handlungspflicht für Arbeitgeber

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Emden traf den Arbeitgeber die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeiten aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta. Es bedürfe dazu keiner richtlinienkonformen Auslegung des § 16 Abs. 2 ArbZG oder einer Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber. § 16 Abs. 2 ArbZG verpflichtet Arbeitgeber bisher nur, Überstunden und Mehrarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeit zu erfassen.

Hinweis: Arbeitsgericht Emden, Urteil vom 20.02.2020, Az: 2 Ca 94/19



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