Arbeitsrecht: Mindestlohntücken bei gängigen Arbeitszeitmodellen

Auch nach den ersten Urteilen zum Mindestlohngesetz bleibt ungewiss, wie der Mindestlohn zu berechnen ist und sich mit gängigen Arbeitszeit- und Vergütungsmodellen verträgt. Kolumnist Alexander R. Zumkeller fragt sogar: Sind bisherige Modelle, die allen nutzen, nicht mehr gewollt?

Ich komme gerade von einer Tagung zurück, bei der mich ein Direktor einer Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit verblüffte: "Wissen Sie, wo es die meisten Probleme mit dem Mindestlohn gibt?", fragte er mich. Natürlich dachte ich gleich an die Friseure und Taxifahrer in den neuen Bundesländern. Aber nein: es war Baden-Württemberg, das Musterland, Platz drei der Entgeltstatistik 2014 im Bund. Und wieso? "Intelligente Arbeitszeitmodelle können halt auch kontraproduktiv sein", meinte mein Gesprächspartner.

Mindestlohn trifft flexible Arbeitszeitmodelle

Es geht also um den Mindestlohn und darum, wie das Mindestlohngesetz (MiLoG) bewährte und gängige arbeitsrechtliche Gestaltungen erschwert. Werfen wir einen Blick auf § 2 Abs. 1 Nr. 2 MiLoG, wonach die Vergütung des Mindestlohns spätestens am Ende des auf die Arbeitsleistung folgenden Monats fällig ist. Nehmen wir nun das Beispiel einer Aushilfe in einem Biergarten – mit einem Entgelt in Höhe von gar nicht so schlechten 15 Euro pro Stunde. Nun lief der Monat Mai prima, mit einer Arbeitszeit von 200 Stunden. Dann ist – nach dem MiLoG – spätestens Ende Juni der Lohn fällig. Moment, nicht ganz richtig: nur der Mindestlohn. Für den den Mindestlohn übersteigenden Anteil (in unserem Fall also 6,50 Euro pro Stunde) kann freilich eine andere Fälligkeit vereinbart werden – zum Beispiel zur Verstetigung des Arbeitslohns.

Genau das ist aber die Krux: Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben in unserem Fall vereinbart, in den Sommermonaten – nach dem Arbeitszeitgesetz zulässige – 48 Stunden pro Woche zu arbeiten. Und weil dem Mitarbeiter sehr daran liegt, monatlich seine Vergütung zu erhalten, hatten sie ein verstetigtes Entgelt vereinbart. Statt im Sommer viel und über die Wintermonate nichts, zahlt der Arbeitgeber jeden Monat 1.500 Euro aus. Das entspricht 1.200 Stunden im Jahr. So weit so gut. Warum nicht, im Saisongeschäft.

Bei Fälligkeit fehlen monatlich 200 Euro zum Mindestlohn

Nicht nur der Mai, sondern auch Juni, Juli, August, September und überraschenderweise Oktober laufen gut, wieder mit je 200 Stunden. Der Mitarbeiter ist zufrieden, weiß er doch, dass ab November Flaute ist und er dennoch weiter seinen Monatslohn erhält.

Alles in Ordnung also? Weit gefehlt: Schon für Mai hätte unser Mitarbeiter bis Ende Juni den Mindestlohn von 200 Stunden mal 8,50 Euro erhalten müssen. 1.700 Euro. War aber nicht! Ende Juli hätte seine Lohntüte für Juni wiederum mit 1.700 Euro bestückt sein müssen – zum Mindestlohn fehlen wiederum 200 Euro, insgesamt also schon 400 Euro. Bis Ende November sammeln sich so 1.200 Euro an, die der Arbeitgeber hinsichtlich des Mindestlohns in Verzug gerät.

Arbeitszeit und Vergütung: MiLoG erschwert Bewährtes

Na ja, denkt sich der Arbeitgeber, aber mein Mitarbeiter bekommt doch noch seinen Lohn… Da hat er jedoch die Rechnung ohne das MiLoG gemacht: nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 in Verbindung mit § 20, § 2 Abs. 1 Nr. 2 MiLoG begeht er eine Ordnungswidrigkeit, weil eben nicht jede Arbeitsstunde pünktlich mit dem Mindestlohn bezahlt wurde. Prekär!

Also lernen wir: Arbeitszeit- und Vergütungsmodelle, die allen nutzen, sind vom Gesetzgeber nicht gewollt. Das Beispiel zeigt, dass mit dem MiLoG bewährte, praktische arbeitsrechtliche Gestaltungen erheblich erschwert wurden. In diesem Beispiel wird niemand geschädigt, im Gegenteil die Solidargemeinschaft sogar geschützt. Ja, natürlich ist das ein Extrembeispiel – so extrem aber nur gewählt, um es rechnerisch einfach zu halten. Halten Sie einmal die Augen auf: Sie werden zigfach auf solche Modelle stoßen!

Arbeitszeitkonto: schriftlich, gestaltbar, fehleranfällig?

Was müsste man also dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer in solch einer Situation (vielleicht) empfehlen? Zwar gibt es als Alternative die Anwendung von § 2 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 MiLoG. Schon das Ausschreiben der Fundstelle zeigt jedoch, dass es sich um keine ganz einfache Geschichte handelt: Schriftlich muss der Gastronom ein Arbeitszeitkonto vereinbaren. Er muss also – das ist in der Gastronomie nicht durchgängig üblich – erst einmal einen schriftlichen Arbeitsvertrag machen und dazu die Arbeitszeiten festhalten, gegebenenfalls sogar eine Zeiterfassung einführen (Mehr dazu, welche Aufzeichnungen nötig sind, lesen Sie hier). Zudem hat der Biergarten-Inhaber in quasi "doppelter Buchführung" nachzuhalten, ob und bis wann die Stunden auf dem Arbeitszeitkonto durch den verstetigten Lohn innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten ausgeglichen sind oder nicht.

Größere Unternehmen können dies mit einer elektronischer Zeiterfassung und EDV-Abrechnung recht einfach gestalten. Kleinunternehmer geraten jedoch schnell an ihre Grenze. Zumal auch auf diese Art maximal 50 Prozent der vertraglichen Arbeitszeit überschritten und verrechnet werden dürfen. Ja, in diesem Bereich ist zwar viel gestaltbar. Aber wo gestaltet wird, passieren leider auch allzu schnell Fehler.

Weniger flexibel: Arbeitslosengeld oder Kurzarbeit

Auch über folgende Möglichkeiten wäre zumindest einmal nachzudenken: Erst einmal, die Auszahlung des vollen Entgelts. Und im Winter? Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Oktober, damit der Mitarbeiter Arbeitslosengeld beziehen kann; oder Kurzarbeit über den Winter. Ja, das ist weniger flexibel, und ja, das belastet die Solidargemeinschaft, was die beiden ja gar nicht wollten. Aber wenn es das ist, was die Politik nun einmal will? Dann sollte man auch drüber nachdenken dürfen. Sollen. Oder gar müssen?


Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BvAU) blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.


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