BAG, Urteil v. 19.2.2020, 5 AZR 189/18

Erbringt ein Arbeitgeber Leistungen für den Arbeitnehmer erkennbar aufgrund einer anderen Rechtspflicht, dann kann der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, dass ihm eine Leistung auf Dauer unabhängig von dieser Rechtspflicht gewährt werden soll. Selbst für den Fall, dass ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern wiederholt eine Erhöhung der Löhne und Gehälter gewährt, kann eine betriebliche Übung selbst bei über Jahre gleichbleibender Gehaltserhöhungspraxis nur dann entstehen, wenn deutliche Anhaltspunkte in seinem Verhalten dafür sprechen, er wolle die Erhöhungen auch ohne Bestehen einer Verpflichtung künftig, d. h. auf Dauer, vornehmen. Beweispflichtig für das Vorliegen einer betrieblichen Übung ist hierbei der Arbeitnehmer.

Sachverhalt

Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin findet ein Haus-TV Anwendung, welcher zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft ver.di am 31.1.2006 für die Beschäftigten des A Klinikums geschlossen worden war. Dieser bestimmt u. a., dass grds. der TVöD einschließlich des BT-K in der jeweiligen Fassung Anwendung finden sollte. Abweichungen hierzu sind in § 3 des Haus-TV geregelt, wie z. B. eine regelmäßige Arbeitszeit von 35 Stunden sowie eine Einschränkung beim Entgelt (Bemessungssatz für das Tabellenentgelt und die sonstigen Entgeltbestandteile sollen 94 %, ab 2006 95,5 % und ab 2007 97 % der üblichen Entgelte betragen). In einer von denselben Tarifvertragsparteien unterzeichneten Protokollerklärung zum Haus-TV heißt es u. a., dass die Tarifvertragsparteien gewillt seien, "bei neuen Entwicklungen in den betrieblichen Bedingungen, den gesetzlichen oder tarifvertraglichen Regelungen, die die vereinbarten Bedingungen des Tarifvertrags berühren, unverzüglich in Verhandlungen einzutreten mit dem Ziel, die notwendigen Veränderungen bzw. übereinstimmende Regelungen herbeiführen zu wollen". Zudem gab es eine Anlage 1 des Haus-TV mit Entgelttabellen des TVöD: Blatt 1 zeigt eine Tabelle zum "Bemessungssatz Tarifgebiet Ost 94 %", gültig ab 1.3.2006, Blatt 2 eine Tabelle mit dem Bemessungssatz 95,5 %, gültig ab 1.7.2006 und Blatt 3 eine Tabelle mit dem Bemessungssatz 97 %, gültig ab 1.7.2007.

Zwischen dem Jahr 2008 und August 2013 gab die Beklagte die für den TVöD-VKA vereinbarten Entgelterhöhungen an die Klägerin weiter, jeweils auf der Basis des auf 97 % reduzierten Tabellenentgelts unter Berücksichtigung der wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden. Die vereinbarten Entgelterhöhungen ab März 2014 bzw. ab März 2015 gab die Beklagte jedoch nicht weiter. Die Weitergabe der tariflichen Entgelterhöhung hatte die Klägerin nun von der Beklagten verlangt. Sie vertritt die Auffassung, der Haus-TV enthalte eine dynamische Bezugnahme auf die Entgeltregelungen des TVöD, sodass die Beklagte verpflichtet sei, die entsprechenden Tariferhöhungen weiterzugeben. Im Übrigen ergebe sich ein Anspruch aus betrieblicher Übung. Die Beklagte brachte dagegen vor, der Haus-TV enthalte eine statische Geltung der in den Anlagen aufgeführten Entgelttabellen. Aus der Weitergabe der Entgeltsteigerungen in der Vergangenheit könne zudem keine betriebliche Übung hergeleitet werden, da sie sich irrtümlich zu diesen Zahlungen tarifvertraglich für verpflichtet gehalten habe.

Die Entscheidung

Die Klage hatte vor dem BAG keinen Erfolg.

Das Gericht entschied, dass die – erfolgreiche – Berufung der Klägerin vor dem LAG in Bezug auf einen Zahlungsanspruch aus dem Haus-TV mangels ausreichender Begründung bereits unzulässig sei. Zudem könne sie aus betrieblicher Übung keinen Anspruch auf die begehrte Entgelterhöhung herleiten, sodass die Klage insoweit unbegründet sei.

Zu letzterem Punkt führte das BAG aus, dass unter einer betrieblichen Übung die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen sei, aus denen die Arbeitnehmer schließen könnten, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern i. d. R. stillschweigend angenommen werde, erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Erbringe der Arbeitgeber die Leistungen für den Arbeitnehmer jedoch erkennbar aufgrund einer anderen Rechtspflicht, dann könne der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, ihm solle eine Leistung auf Dauer unabhängig von dieser Rechtspflicht gewährt werden. Insbesondere für den Fall, dass ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern wiederholt eine Erhöhung der Löhne und Gehälter gewährt, könne eine betriebliche Übung selbst bei über Jahre gleichbleibender Gehaltserhöhungspraxis nur dann entstehen, wenn deutliche Anhaltspunkte in seinem Verhalten dafür sprechen, er wolle die Erhöhungen auch ohne Bestehen einer Verpflichtung künftig, d. h. auf Dauer vornehmen. Beweispflichtig sei hierbei nicht der Arbeitgeber, sondern die klagende Partei. Diese müsse im Falle der betrieblichen Übung auch darlegen, dass das Verhalten des Arbeitgebers aus Sicht des Empfängers aus...

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