BAG, Beschluss v. 28.7.2020, 1 ABR 18/19

Leitsatz (amtlich)

Eine das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verletzende Duldung von Überstunden liegt vor, wenn hinreichende Anhaltspunkte für das Fehlen gebotener Gegenmaßnahmen durch den Arbeitgeber bestehen, um seine Untätigkeit als Hinnahme werten zu können.

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin hat mit dem Betriebsrat eine "Betriebsvereinbarung Arbeitszeiten" geschlossen. In dieser waren u. a. die betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeiten, Schichtmodelle für die verschiedenen Betriebsteile, der für die Früh-, Tag-, Spät- und Nachtschicht jeweilige Schichtbeginn und das jeweilige Schichtende sowie die Lage von jeweils 3 Pausen geregelt. Zudem sollte hiernach die tägliche Arbeitszeit in den Schichtmodellen 8 Stunden betragen. Definiert wurde auch der Begriff der Überstunden, und zwar sollten dies diejenigen Stunden sein, die ein Vollzeitbeschäftigter auf Anordnung der Arbeitgeberin über die in der Schichteinteilung festgelegte Zeit hinaus arbeite. Eine weitere Regelung zu sog. "Flexstunden" sah vor, dass die Arbeitgeberin aus betriebsbedingten Gründen, z. B. bei Auftragsspitzen, von den Beschäftigten freiwillig zu leistende Flex-Überstunden anordnen dürfe, wobei die Beschäftigten in jedem Quartal bis zu 20 Flex-Überstunden leisten können. Spätestens 2 Wochen zuvor müsse die Arbeitgeberin den Betriebsrat in Textform darüber informieren, dass voraussichtlich Flex-Überstunden anfallen werden.

Von März 2017 bis Mai 2017 wies die elektronische Zeiterfassung für 2 Beschäftigte wiederholt Zeiten von arbeitstäglich mehr als 8 Stunden aus. Der Betriebsrat beanstandete dies und forderte die Arbeitgeberin auf, den Sachverhalt zu klären und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Diese teilte jedoch mit, dass bei diesen 2 Beschäftigten die Zeiterfassung technisch versehentlich einem nicht für sie geltenden Arbeitszeitmodell (Gleitzeit- statt Schichtmodell) zugeordnet worden, dieser Fehler jedoch nun behoben worden sei.

Im Zuge von Betriebsveranstaltungen am 17.10.2017 und am 12.12.2017 arbeitete ein Beschäftigter jeweils länger als 8 Stunden. Der Betriebsrat leitete daraufhin das vorliegende Verfahren ein. Er machte einen auf die Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 bzw. § 23 Abs. 3 BetrVG gestützten Unterlassungsanspruch geltend, da die Arbeitgeberin wiederholt die Ableistung nicht mitbestimmter Überstunden geduldet habe. Zuletzt hatte er beantragt, der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, von Mitarbeitern die Ableistung von Überstunden zu dulden oder entgegenzunehmen, ohne dass hierüber eine Einigung mit dem Betriebsrat herbeigeführt worden oder die fehlende Einigung mit ihm durch eine Entscheidung der Einigungsstelle ersetzt worden sei.

Die Entscheidung

Die Anträge hatten vor dem BAG keinen Erfolg.

Das BAG entschied, dass dem Betriebsrat weder ein allgemeiner Unterlassungsanspruch aus § 87 Abs. 1 BetrVG noch ein Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG zustehe, da es an einem betriebsverfassungswidrigen Verhalten der Arbeitgeberin fehle. Das Gericht führte hierzu aus, dass zwar nicht nur die Anordnung, sondern auch die Duldung von geleisteten Überstunden nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestimmungspflichtig sei, soweit ein kollektiver Tatbestand vorliege; und dies könne auch bei der vorübergehenden Änderung der betriebsüblichen Arbeitszeit nur einzelner Arbeitnehmer bejaht werden, da dies die kollektiven Interessen der Belegschaft des Betriebes insgesamt betreffe. Im vorliegenden Fall könne jedoch nicht von einer Duldung von Überstunden ausgegangen werden, da eine Duldung von Überstunden ebenso wie deren Anordnung ein tatsächliches Verhalten des Arbeitgebers sei. Davon könne ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis der Leistung von Überstunden durch Beschäftigte untätig bleibe und diese über einen längeren Zeitraum hinnehme. Solche Sachverhalte liegen nach der Rechtsprechung des BAG unter anderem dann vor, wenn eine Vielzahl von Arbeitnehmern Monat für Monat Überarbeit in erheblichem Maße leiste und der Arbeitgeber diese Stunden "entgegennimmt" und bezahlt oder betrieblich-organisatorische Gründe bedingen, dass Arbeitnehmer häufig über das mitbestimmt festgelegte Schichtende hinaus arbeiten und die Mehrarbeit "angenommen und vergütet" werde.

Für das Vorliegen einer Duldung komme es auch immer auf die Umstände des Einzelfalles an. Es müssten u. a. hinreichende Anhaltspunkte für das Fehlen gebotener Gegenmaßnahmen durch den Arbeitgeber vorliegen, um dessen Untätigkeit als Hinnahme werten zu können. Da die Duldung nach Auffassung des BAG auch ein Zeitelement habe, sagten nur einzelne oder besonderen Umständen geschuldete Überschreitungen der betrieblichen Arbeitszeit für sich gesehen nichts darüber aus, ob der Arbeitgeber diese Überschreitungen hinnehmen würde. Im vorliegenden Fall könne somit nicht von einer "Duldung" in diesem Sinne ausgegangen werden; denn bei den Überschreitungen der Schichtendzeiten durch 2 Beschä...

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