BAG, Urteil v. 22.10.2019, 9 AZR 98/19

Die Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers bzgl. der Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer, insbesondere konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge zu tragen, dass diese tatsächlich in der Lage sind, den bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, können auch für den – den gesetzlichen Urlaubsanspruch übersteigenden – vertraglichen Mehrurlaub gelten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Vertragsparteien die Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des vertraglichen Mehrurlaubs und die Voraussetzungen seiner Befristung nicht abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG geregelt haben.

Sachverhalt

Der Kläger war beim Beklagten, einem eingetragenen Verein, der einen Bürgersender betreibt, zuletzt auf Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 1.1.2012 als Geschäftsführer/Leiter der Geschäftsstelle beschäftigt. Laut Arbeitsvertrag hatte der Kläger Anspruch auf 34 Arbeitstage Urlaub im Kalenderjahr. Mit Schreiben vom 29.6.2012 stellte der Beklagte den Kläger "einstweilen widerruflich" frei. Zudem war zwischen den Parteien ein Rechtsstreit anhängig, da der Arbeitsvertrag der Parteien eine Befristung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.12.2012 vorsah, gegen die der Kläger Befristungskontrollklage erhoben hatte. Diese wurde im Jahre 2015 vor dem LAG rechtskräftig zugunsten des Klägers entschieden. Im Verlauf dieses Rechtsstreits bot der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 20.9.2013 ein Prozessrechtsarbeitsverhältnis entsprechend den bisherigen Bedingungen an, welches dieser auch annahm. Allerdings machte er zugleich ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung wegen rückständiger Vergütung für die Monate Januar bis September 2013 geltend.

Seit dem 1.1.2014 steht der Kläger in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber. Der Kläger erklärte insoweit, er lehne trotz seines Obsiegens im Befristungskontrollverfahren eine Weiterbeschäftigung beim Beklagten ab. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete schließlich aufgrund einer vom Kläger erklärten ordentlichen Kündigung mit Ablauf des 31.7.2016.

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger Urlaubsabgeltung, und zwar 5 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2011 und 35 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2012 mit insgesamt 4.779,20 EUR brutto sowie 35 Arbeitstagen Urlaub aus dem Jahr 2013 mit 4.149,60 EUR brutto. Er begründete dies damit, dass sein Urlaub aus den Jahren 2011 bis 2013 bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch bestanden habe, weil der Beklagte ihn nicht darauf hingewiesen habe, dass der Urlaub verfalle, wenn er ihn nicht beantrage. Er sei zudem gehindert gewesen, den Urlaub zu nehmen, weil sich der Beklagte nach dem 31.12.2012 geweigert habe, ihn zu beschäftigen, und er am 1.1.2014 ein neues Arbeitsverhältnis angetreten habe.

Die Entscheidung

Die Klage hatte vor dem BAG dem Grunde nach Erfolg. Allerdings konnte das BAG nicht abschließend über die konkrete Höhe des geltend gemachten Anspruchs entscheiden, sodass es die Sache an das LAG zurückverwiesen hat.

Das Gericht begründete seine Entscheidung mit der neuen Rechtsprechung des Senats, wonach der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums erlösche, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Hierbei treffe, so das BAG, den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers sei grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes des § 7 Abs. 3 BUrlG. Der Arbeitgeber müsse insoweit konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge tragen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage sei, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen; das setze voraus, dass er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordern müsse, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfalle, wenn er ihn nicht beantrage. Auch dürfe der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht in sonstiger Weise daran hindern, den Urlaub wahrzunehmen, ihn insbesondere nicht mit Umständen konfrontieren, die ihn davon abhalten könnten, seinen Jahresurlaub zu nehmen. Da, so das Gericht weiter, für die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten konkrete gesetzliche Vorgaben fehlen, sei der Arbeitgeber grundsätzlich in der Auswahl der Mittel frei. Allerdings müssten die Mittel geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nehme. Insbesondere sei der Eintritt einer Situation zu vermeiden, in der ein Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitgebers davon abgehalten werden könne, seine Rechte gegenüber seinem Arbe...

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