5.1 Begriff der Gesamtbetriebsvereinbarung

 

Rz. 62

Schließt der Gesamtbetriebsrat im Rahmen seiner originären Zuständigkeit nach § 50 Abs. 1 BetrVG Vereinbarungen mit dem Unternehmer, handelt es sich um Gesamtbetriebsvereinbarungen. Hingegen schließt der Gesamtbetriebsrat im Rahmen der ihm nach § 50 Abs. 2 BetrVG kraft Beauftragung übertragenen Angelegenheiten (Einzel-)Betriebsvereinbarungen ab (BAG, Beschluss v. 18.9.2002, 1 ABR 54/01[1]).

 

Rz. 63

Schließen sowohl der Gesamtbetriebsrat als auch der Betriebsrat eineBetriebsvereinbarung über den gleichen Regelungsgegenstand, so ist allein diejenige Betriebsvereinbarung wirksam und damit maßgeblich, die von dem gesetzlich zuständigen Gremium abgeschlossen wurde.[2] Da sich im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung die Zuständigkeit von Gesamtbetriebsrat und Einzelbetriebsrat ausschließen, ist die vom unzuständigen Organ abgeschlossene Betriebsvereinbarung unwirksam, ein Günstigkeitsvergleich findet nicht statt. Das nicht zuständige Organ kann auch nicht durch den Abschluss von freiwilligen Betriebsvereinbarungen vorgreifen, wenn das an sich zuständige Organ sein Mitbestimmungsrecht noch nicht ausgeübt hat.[3] Ist der Gesamtbetriebsrat für die Regelung einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit zuständig, kann eine darauf bezogene freiwillige Betriebsvereinbarung der örtlichen Betriebsparteien den Gesamtbetriebsrat nicht binden. Der Gesamtbetriebsrat ist in einem solchen Fall berechtigt, eine zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat abgeschlossene Betriebsvereinbarung durch eine von ihm auszuhandelnde Betriebsvereinbarung abzulösen (BAG, Beschluss v. 11.12.2001, 1 AZR 193/01[4]). Werden in einem Unternehmen etwa durch Neugründung eines weiteren Betriebsrats die Voraussetzungen für die Bildung eines Gesamtbetriebsrats erfüllt, so entfällt die Zuständigkeit des bisher einzigen Betriebsrates für die in die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fallenden Angelegenheiten. Die von dem Betriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarungen verlieren bereits in diesem Moment, nicht erst nach Abschluss entsprechender Gesamtbetriebsvereinbarungen, ihre unmittelbare und zwingende Wirkung und werden unwirksam (LAG Nürnberg, Beschluss v. 3.5.2002, 8 TaBV 38/01[5]). Eine Betriebsvereinbarung, die eine dynamische Blankettverweisung auf die "jeweils gültigen" Gesamtbetriebsvereinbarungen eines anderen Unternehmens enthält, ist unwirksam (BAG, Urteil v. 22.8.2006, 3 AZR 319/05[6]).

 

Rz. 64

Schließt ein Gesamtbetriebsrat in originärer Zuständigkeit mit dem Arbeitgeber eine Gesamtbetriebsvereinbarung, hat der hieran nicht beteiligte örtliche Betriebsrat grundsätzlich keinen eigenen Anspruch auf Durchführung der Gesamtbetriebsvereinbarung. Dieser Anspruch steht nur dem Gesamtbetriebsrat zu. Der Betriebsrat kann nur unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG gegen den Arbeitgeber vorgehen, wenn die Nichtdurchführung der Gesamtbetriebsvereinbarung durch den Arbeitgeber den Charakter einer groben Pflichtverletzung annimmt (BAG, Beschluss v. 18.5.2010, 1 ABR 6/09[7]).

[1] NZA 2003 S. 670, 673; Fitting, § 50 BetrVG Rz. 73; Schwab, NZA-RR 2007, S. 505, 508.
[2] Fitting, § 50 BetrVG Rz. 74; Richardi/Annuß, § 50 BetrVG, Rz. 71.
[3] Fitting, § 50 BetrVG Rz.74.
[4] NZA 2002 S. 688.
[5] NZA-RR 2003 S. 21; Richardi/Annuß, § 50 BetrVG Rz.71.
[6] NZA 2007 S. 1187.
[7] NZA 2010 S. 1433.

5.2 Auswirkungen von Betriebsübergängen auf Gesamtbetriebsvereinbarungen

 

Rz. 65

Umstritten sind die Auswirkungen von Betriebsübergängen auf Gesamtbetriebsvereinbarungen. Gesamtbetriebsvereinbarungen regeln keine Angelegenheit "des Unternehmens", Bezugsobjekt und Regelungssubstrat sind vielmehr die einzelnen Betriebe. Eine Gesamtbetriebsvereinbarung gilt daher nicht "im Unternehmen", sondern in den Betrieben des Unternehmens (BAG, Beschluss v. 18.9.2002, 1 ABR 54/01[1]). Der Fortbestand oder die fortbestehende Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist folglich keine notwendige Voraussetzung für die normative Fortgeltung der von ihm mitgeschaffenen Gesamtbetriebsvereinbarungen. Entscheidend für die normative Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung nach einem Betriebsübergang ist die Wahrung der jeweiligen Identität der übernommenen Betriebe. Im Einzelnen gilt für die Fortgeltung von bislang beim Veräußerer geltenden Gesamtbetriebsvereinbarungen im Fall des Betriebsübergangs Folgendes:

 

Rz. 66

Geht ein einzelner Betrieb des abgebenden Unternehmens unter Wahrung der Betriebsidentität auf ein anderes aufnehmendes Unternehmen über, das bislang keinen Betrieb hatte, bleiben die Gesamtbetriebsvereinbarungen als Einzelbetriebsvereinbarungen mit normativer Wirkung bestehen (BAG, Beschluss v. 18.9.2002, 1 ABR 54/01[2]). Gleiches gilt, wenn nur Betriebsteile übergehen, die aber als selbstständige Betriebe fortgeführt werden (BAG, Beschluss v. 18.9.2002, 1 ABR 54/01[3]). Im Einzelfall mag eine Fortgeltung allerdings daran scheitern, dass die betreffende Regelung nach ihrem Inhalt die Zugehörigkeit zum bisherigen Unternehmen zwingend voraussetzt und nach dem Betriebsübergang gegenstandslos ist (BAG, Beschluss v. 18.9.2002, 1 ABR 54/01[...

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