Rz. 1

§ 22 KSchG enthält eine Ausnahmebestimmung für Saison- und Kampagne-Betriebe. Danach finden die Vorschriften des 3. Abschnitts – d. h. die Regelungen zu anzeigepflichtigen Massenentlassungen nach §§ 17 ff. KSchG – keine Anwendung, wenn die Entlassungen durch die Eigenart dieser Betriebe bedingt sind.

1.1 Entstehungsgeschichte

 

Rz. 2

Die Regelung in § 22 KSchG entspricht nahezu vollständig den Vorläuferbestimmungen in § 20 Abs. 4 AOG bzw. § 20 KSchG 1951. Anders als die Vorläuferbestimmungen enthält § 22 KSchG allerdings keine Definition der Begriffe "Saisonbetrieb" bzw. "Kampagne-Betrieb". Vielmehr wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in § 22 Abs. 2 Satz 2 KSchG ermächtigt, durch Rechtsverordnung eine entsprechende Begriffsbestimmung vorzunehmen. Da hiervon aber bislang kein Gebrauch gemacht wurde, sind bei der Beurteilung der Frage, welche Betriebe als Saison- oder Kampagne-Betriebe gelten, die bislang in Literatur und Rechtsprechung – insbesondere auch zu den Vorläuferbestimmungen – entwickelten Grundsätze weiterhin anzuwenden.[1]

[1] FW KSchG 22.3; KR/Weigand/Heinkel, 13. Aufl 2022, § 22 KSchG Rz. 2; LKB/Bayreuther, KSchG, 16. Aufl. 2019, § 22 KSchG Rz. 5; ErfK/Kiel, 24. Aufl. 2024, § 22 KSchG Rz. 2.

1.2 Regelungszweck

 

Rz. 3

Hintergrund für die Herausnahme der Saison- und Kampagne-Betriebe aus dem betrieblichen Geltungsbereich der Massenentlassungsregelungen sind die in diesem Bereich üblicherweise starken Schwankungen der Beschäftigtenanzahl. Hierdurch soll den betreffenden Betrieben ermöglicht werden, sich unkompliziert und ohne Erschwerungen dem sich regelmäßig verändernden Personalbedarf anzupassen.[1] Die praktische Relevanz der Ausnahmebestimmung ist gering, da in vielen Saison- und Kampagne-Betrieben häufig zeitlich befristete Arbeitsverträge abgeschlossen werden.[2]

 

Rz. 4

Da es sich bei § 22 KSchG um eine Ausnahmebestimmung zum betrieblichen Geltungsbereich handelt, hätte die Regelung eigentlich – ohne dass dieser Erwägung eine praktische Relevanz zukommt – systematisch im Rahmen von § 23 Abs. 2 KSchG angesiedelt werden müssen. Daneben stellt sich die wesentlich bedeutsamere Frage, ob der Wegfall des durch die §§ 17 ff. KSchG eingeräumten Kündigungsschutzes europarechtskonform ist. Da die Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG nach Art. 1 Abs. 2a nur dann keine Anwendung findet, wenn es sich um "für eine bestimmte Zeit oder Tätigkeit" geschlossene Anstellungsverhältnisse handelt, bestehen hieran bei fehlender Befristung oder Bedingung erhebliche Zweifel.[3] Die fehlende Richtlinienkonformität kann allerdings nur vom deutschen Gesetzgeber korrigiert werden; bis dahin ist § 22 KSchG anzuwenden.

[1] KR/Weigand/Heinkel, § 22 KSchG Rz. 6; APS/Moll, 7. Aufl. 2024, § 22 KSchG Rz. 2; LKB/Bayreuther, KSchG, § 22 KSchG Rz. 4; BeckOGK/Holthusen, § 22 KSchG Rz. 2.
[2] HWK/Molkenbur, Arbeitsrecht, 10. Aufl. 2022, § 22 KSchG Rz. 1; ErfK/Kiel, § 22 KSchG Rz. 1.
[3] Ebenso Zwanziger, AuR 2001, 384, 385; APS/Moll, § 22 KSchG Rz. 9; a. A. KR/Weigand/Heinkel, § 22 KSchG Rz. 5, § 17 KSchG Rz. 41; Opolony, NZA 1999, 791, 793.

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