Rz. 28

Anders als im Falle von Tarifverträgen, bei denen § 19 Abs. 3 KSchG bestimmt, dass diese durch die Zulassungsentscheidung der Bundesagentur für Arbeit nicht berührt werden (vgl. Rz. 31), bestehen keine Regelungen im Hinblick auf das Verhältnis der angeordneten Kurzarbeit zu Betriebsvereinbarungen, welche Regelungen zur Kurzarbeit enthalten. Aus dem Umkehrschluss kann daher geschlossen werden, dass etwaige Einschränkungen in Betriebsvereinbarungen von der Zulassungsentscheidung nach § 19 KSchG außer Kraft gesetzt werden.[1] Unabhängig davon wird das durch die Zulassungsentscheidung der Bundesagentur für Arbeit begründete Gestaltungsrecht des Arbeitgebers, einseitig die Arbeitsbedingungen zu ändern und Kurzarbeit einzuführen, jedoch durch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG begrenzt. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat bei der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit ein Mitbestimmungsrecht. Hierunter fällt auch die Einführung von Kurzarbeit.[2]

 

Rz. 29

Inwieweit die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats auch für die Anordnung und Durchführung der Kurzarbeit aufgrund der Ermächtigung nach § 19 Abs. 1 KSchG gelten, ist umstritten. Nach überwiegender Ansicht besteht jedoch ein uneingeschränktes Mitbestimmungsrecht, das sowohl die Frage der Einführung von Kurzarbeit ("Ob") als auch die Frage der inhaltlichen Ausgestaltung und Durchführung ("Wie") umfasst.[3] Der gegenteiligen Ansicht, nach welcher der Arbeitgeber auch ohne die Beteiligung des Betriebsrats Kurzarbeit einführen kann[4], ist nicht zu folgen. Die Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit gewährt dem Arbeitgeber nur das Recht, überhaupt Kurzarbeit einführen zu können. Bei der Ausübung dieses Rechts bleibt der Arbeitgeber jedoch an die allgemeinen Vorschriften und damit auch an die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte des Betriebsrats gebunden. Insbesondere ersetzt die Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit nicht die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte des Betriebsrats. Dem steht auch nicht § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG entgegen, da es sich bei der Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit nicht um eine gesetzliche Regelung handelt.[5]

 

Rz. 30

Der Arbeitgeber muss daher in Betrieben mit Betriebsrat dessen Mitbestimmungsrechte beachten. Dies hat in der Praxis erhebliche Auswirkungen. Gerade wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat über die Einführung von Kurzarbeit uneinig sind, führt dies in vielen Fällen zu einer weiteren Zeitverzögerung. Lehnt der Betriebsrat die Einführung von Kurzarbeit ab, ist das Gestaltungsrecht des Arbeitgebers gänzlich entwertet. Der Normzweck von § 19 KSchG, wirtschaftliche Härten des Arbeitgebers während der Sperrzeit zu mildern, wird damit unterlaufen.

[1] BeckOGK/Naber, § 19 KSchG Rz. 22.
[2] Vgl. nur Fitting, BetrVG, 31. Aufl. 2022 § 87 BetrVG Rz. 152.
[3] BAG, Beschluss v. 5.3.1974, 1 ABR 28/73, AP BetrVG 1972 § 87 Kurzarbeit Nr. 1; KR/Weigand/Heinkel, § 19 KSchG Rz. 30 ff.; MünchKommBGB/Hergenröder, § 19 KSchG Rz. 10; LKB/Bayreuther, KSchG, § 19 KSchG Rz. 15; ErfK/Kiel, § 19 KSchG Rz. 4; Gutzeit, BB 1996, 106, 111; v. Stebut, RdA 1974, 332, 334 ff.
[4] Böhm, BB 1974, 281, 284; Hanau, BB 1972, 499; APS/Moll, § 19 KSchG Rz. 26.
[5] APS/Moll, § 19 KSchG Rz. 25; KR/Weigand/Heinkel, § 19 KSchG Rz. 31 m. w. N.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge