BAG, Beschluss v. 18.10.2018, 6 AZR 232/17 (A)

Steht die Nichtberücksichtigung von Zeiten einschlägiger Berufserfahrung aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bei der Stufenzuordnung im Entgeltsystem des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) mit europäischem Recht in Einklang? Vorlage an den EuGH.

Sachverhalt

Von 1997 bis 2014 war die Klägerin ununterbrochen in Frankreich als Lehrerin tätig. Nach einer Unterbrechung von weniger als 6 Monaten trat sie als Lehrerin in den Schuldienst des beklagten Landes ein. Aufgrund der in Frankreich erworbenen – mindestens 3-jährigen – einschlägigen Berufserfahrung bezahlte die Beklagte der Klägerin gemäß der Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L Entgelt nach EG 11 Stufe 3. Die Klägerin verlangte jedoch die Bezahlung nach Stufe 5, da ihrer Ansicht nach ihre Berufserfahrung voll berücksichtigt werden müsse. Dies lehnte das beklagte Land ab. Allerdings gestand es zu, dass die Berufserfahrungszeiten, hätte die Klägerin diese beim beklagten Land zurückgelegt, nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L entsprechend ihrem Begehren berücksichtigt worden wären.

Die Klägerin erhob Klage. Sie machte geltend, die Privilegierung der beim selben Arbeitgeber erworbenen einschlägigen Berufserfahrung bei der Stufenzuordnung in § 16 Abs. 2 TV-L verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG und die unmittelbar wirkenden unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeitsbestimmungen. Demgegenüber brachte das beklagte Land vor, dass die Privilegierung bezwecke, den Besitzstand insbesondere der zuvor beim selben Arbeitgeber befristet Beschäftigter zu wahren, sodass die auf der Staatsangehörigkeit beruhende mittelbare Diskriminierung gerechtfertigt sei.

Die Entscheidung

Nachdem das Arbeitsgericht der Feststellungsklage stattgegeben und das Landesarbeitsgericht sie abgewiesen hatte, hat das BAG dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) nach Art. 267 AEUV um die Beantwortung einer Frage zur Auslegung von Art. 45 Abs. 2 AEUV sowie Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.4.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union ersucht. Das BAG möchte geklärt haben, ob die § 16 Abs. 2 TV-L innewohnende Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch den mit der Privilegierung der bei demselben Arbeitgeber erworbenen einschlägigen Berufserfahrungszeiten nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L bezweckten Schutz befristet beschäftigter Arbeitnehmer gerechtfertigt sei; denn dieser Schutz sei wegen § 4 Nr. 4 der am 18.3.1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28.6.1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge enthalten ist, unionsrechtlich geboten. Insoweit falle es in den Zuständigkeitsbereich des EuGH, die Frage zu klären, wie die Kollision zweier auf unterschiedliche Schutzziele gerichteter Normanwendungsbefehle des Unionsrechts aufzulösen sei.

Anmerkung:

In verschiedenen Urteilen hat das BAG bereits entscheiden, dass die Stufenregelungen des öffentlichen Dienstes nicht gegen die unionsrechtlichen Freizügigkeitsvorschriften in Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EU) 492/2011 verstoßen: so BAG, Urteil v. 23.2.2017, 6 AZR 843/15 zu § 16 Abs. 2 TV-L; BAG Urteil v. 25.1.2018, 6 AZR 791/16 zu § 16 Abs. 2 TVöD-Bund (a. F.).

Allerdings hat der EuGH bereits im Jahre 2013 (EuGH v. 5.12.2013, C 514/12) zu einer vergleichbaren Regelung im österreichischen Recht entschieden, dass eine Differenzierung gegen unionsrechtliche Freizügigkeitsvorschriften verstößt. Insoweit ist nun die Entscheidung des EuGH mit Spannung zu erwarten.

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