Rz. 360

Arbeitnehmer benötigen in gleicher Weise wie Arbeitgeber einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 BGB, um zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Arbeitgeber berechtigt zu sein. Auch dabei gilt die Ausschlussfrist aus § 626 Abs. 2 BGB. Der Arbeitnehmer hat im Zweifel den wichtigen Grund für die Kündigung darzulegen und nachzuweisen. Wie im umgekehrten Fall kann eine außerordentliche Kündigung durch den Arbeitnehmer ggf. nur berechtigt sein, wenn er den Arbeitgeber zuvor abgemahnt hatte. Bei den nachfolgend dargestellten Sachverhalten wird allein die arbeitsrechtliche Betrachtung dargestellt, von der die sozialrechtliche Bewertung im Einzelfall abweichen kann. Allgemein wird ein außerordentlicher arbeitsrechtlicher Kündigungsgrund aber auch einen wichtigen Grund für den Arbeitnehmer zur Arbeitsaufgabe nach dem Sperrzeitrecht darstellen. Der Arbeitgeber kann durch eine außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers in seinem Ansehen betroffen sein, deshalb kann er ein Interesse daran haben, die Unwirksamkeit der Kündigung durch das Arbeitsgericht feststellen zu lassen.

 

Rz. 361

Bei folgenden Sachverhalten liegt tendenziell an sich ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung durch den Arbeitnehmer vor:

  • Der Arbeitnehmer ist zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt, wenn der Arbeitgeber Arbeitsschutzvorschriften teilweise nicht beachtet und für den Arbeitnehmer erkennbar ist, dass sich an dieser Haltung nichts ändern wird. In einem solchen Fall bedarf es auch keiner Abmahnung des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer.
  • Kommt der Arbeitgeber seiner Beschäftigungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer nicht nach, kann dies den Arbeitnehmer zur fristlosen Kündigung berechtigen, allerdings bedarf es im Regelfall einer vorherigen Abmahnung des Arbeitgebers.
  • Lohnrückstände rechtfertigen im Allgemeinen nur nach vorheriger Abmahnung eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund. Das gilt auch für Auszubildende gegenüber dem Ausbilder. Ein wichtiger Grund dazu liegt dann vor, wenn der Arbeitgeber entweder eine erhebliche Zeit oder aber mit einem ansehnlichen Betrag in Lohnzahlungsrückstand geraten ist. Hierbei kann wiederholte Unpünktlichkeit bzw. eine wiederholte Minderzahlung berücksichtigt werden. Eine Abmahnung ist nicht mehr erforderlich, wenn feststeht oder durch den Arbeitgeber selbst erklärt wurde, dass der Lohn nicht mehr gezahlt werden kann. Bei nachhaltiger Verweigerung der Lohnzahlung stellt auch ein geringer Lohnzahlungsrückstand bereits einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar, wenn die Verweigerung willkürlich und ohne nachvollziehbaren Grund erfolgt. Im Insolvenzverfahren kommt es darauf an, ob aufgelaufene Ansprüche auf Arbeitsentgelt noch aus der Insolvenzmasse befriedigt werden können. Bereitschaftszeit, z. B. von Rettungsassistenten bei Rettungsdiensten, ist Arbeitszeit (EuGH, Urteil v. 21.2.2018, C-518/15, zu Art. 2 RL 2003/88/EG) und mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten (BAG, Urteile v. 11.10.2017, 5 AZR 591/16, v. 29.6.2016, 5 AZR 716/15). Das gilt auch, wenn Bereitschaftszeiten tariflich oder arbeitsvertraglich nur anteilig als tarifliche Arbeitszeit berücksichtigt werden. Der gesetzliche Mindestlohnanspruch ergibt sich aus der Division des Bruttomonatsentgelts durch die Anzahl der im Abrechnungszeitraum geleisteten Stunden (einschließlich der unfaktorisierten Zeitstunden der Bereitschaftszeit). Bei dem vor dem EuGH verhandelten Fall ist der EuGH als Bereitschaftszeit von einer Zeit ausgegangen, die der Arbeitnehmer zu Hause verbringt und während der er der Verpflichtung unterliegt, einem Ruf des Arbeitgebers innerhalb von 8 Minuten Folge zu leisten, wodurch die Möglichkeit erheblich eingeschränkt ist, anderen Tätigkeiten nachzugehen. Zur Diskriminierung wegen des Entgelts vgl. Rz. 364 ff.

    Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen und diesen Gleichgestellte u. a. Anspruch auf eine behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit. Dies schließt die Gestaltung von Sonderformen der Arbeit wie z. B. Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft ein.

    Entscheidendes Unterscheidungskriterium von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft ist tariflichen Bestimmungen zufolge, ob der Arbeitgeber nach Maßgabe der von ihm getroffenen Anordnungen den Aufenthaltsort des Arbeitnehmers bestimmt oder ob der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort im Rahmen der durch den Zweck der Rufbereitschaft vorgegebenen Grenzen frei wählen kann. Im ersten Fall handelt es sich um Bereitschaftsdienst, im zweiten Fall um Rufbereitschaft. Die Befugnis, diese Sonderformen der Arbeit nur anzuordnen, wenn erfahrungsgemäß Arbeit lediglich in einem tariflich näher umschriebenen Umfang anfällt, ist hingegen kein Tatbestandsmerkmal. Darum wandelt sich tarifwidrig angeordnete Rufbereitschaft nicht automatisch in Bereitschaftsdienst mit der Folge weitergehender Vergütungsansprüche um (BAG, Urteil v. 25.3....

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