Wie kann also "Qualifizierung" definiert werden? Qualifizierung ist jede betriebsbezogene und individuelle berufsbezogene Fort- und Weiterbildung; eine allgemein verwendbare Definition gibt es allerdings nicht.[1] Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) enthält zwar in § 1 eine Generaldefinition, nach der Berufsbildung der Oberbegriff für Berufsausbildungsvorbereitung, Berufsausbildung, berufliche Fortbildung und berufliche Umschulung ist. Jedoch hilft das hier nicht weiter, weil diese Definition für die Tarifvertragsparteien nicht bindend ist. Insbesondere regeln das BBiG und der TVöD unterschiedliche Materien, denn die Berufs(erst)ausbildung im Berufsausbildungsverhältnis wird im BBiG und den dazugehörigen Ausbildungsordnungen geregelt.

Im Gegensatz dazu haben die Tarifvertragsparteien allein die Weiterbildung, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses – in der Regel nach Absolvierung einer Berufs(erst)ausbildung – stattfindet, regeln wollen. Zu beachten ist dabei, dass eine Form von Weiterbildung auch während der Arbeit erfolgen kann, z. B. durch das Lesen einschlägiger Fachliteratur. Diese Form der Qualifizierung ist in der Praxis die wichtigste, denn ca. 98 % der Qualifizierung von Beschäftigten erfolgt heute über das Lernen am Arbeitsplatz. Daher gilt auch im Rahmen des § 5 TVöD, dass der Arbeitgeber nicht zwingend eine externe Qualifizierung, etwa durch Seminare, ermöglichen muss.

Eine Qualifizierung kann funktionsspezifisch (Teilnahme des EDV-Beauftragten an einem Computerkurs) oder durch Vermittlung allgemeiner Fähigkeiten und Fertigkeiten geschehen (Sprachkurs). Welche Weiterbildungsinhalte für das jeweilige Arbeitsverhältnis sinnvoll sind, ist eine Frage der Arbeitsanforderungen, die regelmäßig der Arbeitgeber festsetzt, die dieser aber zusammen mit dem Beschäftigten oder gegebenenfalls mit dem Betriebsrat/Personalrat für die einzelne Qualifizierungsmaßnahme bestimmt. Der Arbeitgeber, der durch neue Maschinen, Arbeitsmethoden oder durch eine Fertigungsumstellung ein zwangsläufiges Qualifikationsdefizit aufdeckt, löst damit einen Qualifikationsbedarf aus. In der Praxis wird der Arbeitgeber regelmäßig diesen Qualifikationsbedarf auf seine Kosten erfüllen, ohne dass dazu eine Rechtspflicht besteht.[2] Ebenso verhält es sich, wenn der Arbeitgeber eine speziell auf ihn zugeschnittene Maßnahme, z. B. eine neue Software, einführt. Hier besteht aufgrund des Betriebsrisikos, das der Arbeitgeber zu tragen hat, dessen Verpflichtung, die Qualifizierung des Beschäftigten auf seine Kosten zu veranlassen. Korrespondierend ist der Beschäftigte verpflichtet, die Qualifizierungsmaßnahme wahrzunehmen.

Nicht zur Qualifizierung im Sinne des § 5 TVöD zählen:

  • die Berufs(erst)ausbildung
  • Maßnahmen ohne Berufsbezug
  • die gesetzlich geregelten punktuellen Qualifizierungslasten des Arbeitgebers
 
Praxis-Beispiel

Zu diesen Qualifizierungslasten gehört die Pflicht zur Arbeitseinweisung, die in § 81 Abs. 1 Satz 1 BetrVG noch einmal ausdrücklich geregelt ist und die als Individualrecht Ausdruck des Betriebsrisikos, also der Obliegenheit des Arbeitgebers ist.[3]

Weiterhin sind dazu Schulungen für Beschäftigte, die zuständig sind für den Arbeitsschutz, das Umweltrecht und den Datenschutz, zu zählen.

  • der (unverbindliche) Qualifizierungsvorschlag zur Beschäftigungssicherung nach § 92a BetrVG. Dieser bezieht sich auf § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG, der vom Arbeitgeber verlangt, dass er den Arbeitnehmer bei drohender betriebsbedingter Kündigung umschult oder fortbildet, anstatt ihm zu kündigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Qualifizierung nach dem Ultima-Ratio-Prinzip geben.[4]
[1] Rieble, a. a. O., S. 831 ff.(834); Käufer, Weiterbildung im Arbeitsverhältnis, 2001, S. 23 ff.
[2] So auch Rieble, a. a. O., S. 831 ff. (845).
[3] Thüsing in: Richardi, Kommentar Betriebsverfassungsgesetz, 9. Auflage 2004, § 81 Rn. 3 ff.
[4] BAG, Urt. v. 07.12.2000 – 2 AZR 460/99, AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung.

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