§ 22 Abs. 1 Satz 2 2. Hs. MiLoG enthält einen Katalog mit 4 Bereichsausnahmen. Kern des Ausnahmekatalogs ist die Trennung zwischen ausbildungsbezogenen (dann regelmäßig keine Geltung des MiLoG) und sonstigen (freiwilligen) Praktikumsverhältnissen, die nicht direkt mit einer Berufs- oder Hochschulausbildung zusammenhängen (dann i. d. R. Geltung des MiLoG). Vom persönlichen Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes ausgenommen sind nach § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG die Praktikantinnen und Praktikanten, die

  1. ein Praktikum verpflichtend aufgrund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie leisten,
  2. ein Praktikum von bis zu 3 Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten,
  3. ein Praktikum von bis zu 3 Monaten begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat, oder
  4. an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder an einer Berufsausbildungsvorbereitung nach §§ 68 bis 70 des Berufsbildungsgesetzes teilnehmen.

Die Formulierung "es sei denn" bewirkt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, weshalb der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass das vereinbarte Praktikum unter den Ausnahmekatalog fällt.

1.3.4.2.1 Pflichtpraktika (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG)

Praktika, die aufgrund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung oder einer hochschulrechtlichen Bestimmung verpflichtend geleistet werden, können im Grunde keine "anderen Vertragsverhältnisse" i. S. d. § 26 BBiG sein, da das Berufsbildungsgesetz die Berufsbildung insoweit nicht regelt und regeln kann, als diese wegen der abschließenden Gesetzgebungskompetenz der Länder den Schulgesetzen der Länder (Art. 30 und 70 GG) im weitesten Sinne unter Einschluss der landesrechtlichen Bestimmungen für Hochschulen und Fachhochschulen unterliegt. Hieran vermag auch § 26 BBiG nichts zu ändern, weil das gesamte Berufsbildungsgesetz im schulischen Bereich nicht anwendbar ist.[1]

§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG regelt insoweit, dass Praktika, die auf schul- oder hochschulrechtlichen Bestimmungen beruhen, nicht unter den Mindestlohn fallen. Durch die Verwendung des Begriffs "schulrechtliche Bestimmung" will der Gesetzgeber sicherstellen, dass insbesondere auch Praktika zur Erlangung eines schulischen Abschlusses nicht unter das MiLoG fallen. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung.[2] Das LAG München[3] sieht vom Regelungsbereich des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG auch Vorpraktika, die in einer Schulordnung als Voraussetzung zur Erlangung eines schulischen Abschlusses gefordert werden, erfasst. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Begriff der hochschulrechtlichen Bestimmung umfassend zu verstehen. Unter diesen Begriff fallen etwa neben Studien- und Prüfungsordnungen auch Zulassungsordnungen, welche die Absolvierung eines Praktikums als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorschreiben. Ferner sind damit auch Praktika umfasst, die auf der Grundlage des jeweiligen Hochschulgesetzes eines Landes erfolgen.

 
Hinweis

Das MiLoG regelt nicht, wie ein Pflichtpraktikum im Einzelfall nachzuweisen ist. Die Schwierigkeit wird deshalb darin bestehen, festzustellen, ob das Praktikum tatsächlich durch eine Schulordnung o. Ä. abgedeckt ist bzw. ob der Praktikant nicht bereits ein solches Praktikum absolviert hat. Die Praktikanten sollten daher verpflichtet werden – sofern es ihnen nicht möglich ist, eine Bescheinigung der (Hoch-)Schule für das Absolvieren des Praktikums beizubringen –, die einschlägige Ausbildungs- bzw. Studienordnung vorzulegen. Zudem sollten die Praktikanten unter Bezugnahme auf diese Ausbildungsordnung im Praktikantenvertrag versichern, dass das vereinbarte Praktikum ein Pflichtpraktikum ist.

Ein Praktikum wird ebenso verpflichtend aufgrund einer hochschulrechtlichen Bestimmung geleistet, wenn es im Rahmen von Kooperationsverträgen zwischen Hochschulen und Unternehmen erfolgt. Damit können insbesondere auch Praktika, die im Rahmen von dualen Studiengängen absolviert werden, vom Anwendungsbereich des Mindestlohns ausgenommen sein (siehe hierzu Ziffer 1.3.4.1). Ebenfalls vom Mindestlohn ausgenommen sind Praktika, die im Rahmen der Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie geleistet werden.

Fraglich ist, ob auch solche Praktika, die nach einem Studien- oder Berufsabschluss für die staatliche Anerkennung oder Berufszulassung zu leisten sind (z. B. Anerkennungsjahre), zu den Pflichtpraktika i. S. d. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG zählen können. Hiergegen spricht, dass es nach einem Abschluss im Grunde keine Praktika mehr geben kann, die Bestandteil des Ausbildungsganges sind. Etwas anderes gilt auch nicht für diejenigen Studiengänge, die zur Erlangung einer staatlichen Anerkennung die vorherige Absolvierung von zusätzlichen besonderen Praktika voraussetze...

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