Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverhältnismäßige außerordentliche Kündigung eines Straßenbahn- und Omnibusfahrers wegen außerdienstlicher politischer Betätigung unter zeitweiser Sichtbarkeit eines am Hosenbund befestigten Ausweises der Arbeitgeberin. Unbegründeter Aufhebungsantrag der Arbeitgeberin bei unzureichender Darlegung einer schweren Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für den Arbeitnehmer besteht auch für sein außerdienstliches Verhalten die vertragliche Nebenpflicht, auf die erkennbaren berechtigten Interessen seiner Arbeitgeberin Rücksicht zu nehmen und sich dieser gegenüber loyal zu verhalten.

2. Nimmt ein als Straßenbahn- und Omnibusfahrer beschäftigter Arbeitnehmer an einer Demonstration der Organisation “Die Rechte„ teil, bei der er auch als Redner auftritt, und ist dabei zeitweise sein am Hosenbund befestigter Ausweis der Arbeitgeberin sichtbar, verstößt der Arbeitnehmer gegen seine Loyalitätspflicht, wenn die Arbeitgeberin ihm gegenüber schriftlich wenn auch unmittelbar nur für seine dienstliche Tätigkeit verdeutlicht hat, dass sie mit politischen Aktivitäten einzelner Mitarbeiter nicht in Verbindung gebracht werden will und dass sie politische Aktivitäten im Dienst nicht dulden wird. Die Rücksichtnahmepflicht verbietet es nicht, sich im privaten Bereich zu engagieren, verpflichtete den Arbeitnehmer aber, die Arbeitgeberin nicht in Zusammenhang mit seinem politischen Engagement und seinen Ansichten zu bringen.

3. Besteht die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers in einem steuerbaren Verhalten, wird vor Ausspruch einer Kündigung in der Regel eine Abmahnung erforderlich aber auch genügend sein. Einem etwaigen in der Öffentlichkeit entstehenden Ansehensverlust kann die Arbeitgeberin grundsätzlich auch dadurch begegnen, dass mit dem Ausspruch einer Abmahnung klargestellt wird, dass ein derartiges Verhalten nicht geduldet wird.

4. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag der Arbeitgeberin gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist zukunftsbezogen zu beantworten und setzt die Prognose einer schweren Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses voraus. Lassen die Gesamtumstände nur geringe negative Rückschlüsse auf das Arbeitsverhältnis und das gedeihliche Zusammenwirken der Parteien und insbesondere für die Tätigkeit des Arbeitnehmers als Straßenbahn- oder Omnibusfahrer zu, sind diese Voraussetzungen insbesondere dann nicht erfüllt, wenn Störungen des erforderlichen Vertrauens, die der weiteren wechselseitigen Erfüllung der Vertragspflichten und dem Zusammenwirken zum Wohl des Betriebes entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich sind und sich auch nicht in greifbaren Tatsachen niedergeschlagen haben.

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG § 1 Abs. 2, §§ 9-10; BGB § 241 Abs. 2, § 314 Abs. 2, § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2, § 9 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 25.01.2017; Aktenzeichen 2 Ca 4610/16)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 25.01.2017, Az. 2 Ca 4610/16, wird zurückgewiesen.

2. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Arbeitgeberkündigung sowie im Berufungsverfahren über einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers gegen Zahlung einer Abfindung.

Der am 20.08.1962 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit 01.03.2002 als Straßenbahn- und Omnibusfahrer beschäftigt. Derzeit arbeitet der Kläger in Teilzeit mit einer monatlichen durchschnittlichen Bruttovergütung von EUR 1.100,--. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes.

Der Kläger ist für die "Bürgerinitiative A" im Stadtrat der Stadt N....

Im Jahre 2012 ist eine Beschwerde eines Fahrgastes über den Kläger eingegangen, dieser hätte den Fahrgast in eine politische Diskussion verwickelt. Die Beklagte ist unter dem 07.09.2012 zu der Bewertung gekommen, die gegenteilige Einlassung des Klägers sei nachvollziehbar, es würden sich keine weiteren Maßnahmen ergeben.

Am 02.05.2014, nach der Wahl des Klägers in den Stadtrat, hat dieser einen seinerseits gestellten Antrag im Stadtrat zur Gestaltung einer Straßenbahnendhaltestelle in den Räumlichkeiten der Beklagten ausgehängt (vgl. Bl. 109 d.A.). Nachdem die Beklagte dies beanstandet hatte, nahm der Kläger den Aushang wieder ab. Im Nachgang hat die Beklagte mit Schreiben vom 19.05.2014 dem Kläger das Ergebnis des Gespräches vom 12.05.2014 mitgeteilt. Darin heißt es unter anderem:

"In diesem Gespräch wurde Ihnen die Auffassung der V... deutlich gemacht, wie mit parteipolitischen Äußerungen in dem Unternehmen umgegangen wird. Nachfolgend wird dies noch einmal klar dargestellt: Unabhängig von der parteipolitischen Orientierung eines Mitarbeiters hat grundsätzlich jede parteipolitische Äußerung zu unter...

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