Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung des Verfahrens. Urlaubsanspruch trotz Arbeitsunfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens nach § 108 Abs. 2 SGB VII kommt nicht in Betracht, wenn unabhängig von der Bindungswirkung des § 108 Abs. 1 SGB VII kein Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch des Arbeitnehmers besteht.

2. Auch während einer Arbeitsunfähigkeit kann Urlaub gewährt werden; europäisches Recht steht der Geltendmachung von Urlaub während der Arbeitsunfähigkeit nicht entgegen (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 10.09.2009 – C – 277/08).

 

Normenkette

SGB VII § 108; BUrlG § 7

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Aktenzeichen 9 Ca 7005/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 07.08.2012; Aktenzeichen 9 AZR 189/11)

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab 01.10.2010 30 Tage Urlaub des Jahres 2010 zu gewähren.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 13/14 und die Beklagte 1/14.

4. Die Revision wird zugelassen bezogen auf die Urlaubsansprüche des Klägers; im Übrigen nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatz bzw. Schmerzensgeldansprüche des Klägers wegen Öldämpfen im Cockpit, die Beschäftigung des Klägers am Boden bzw. eine entsprechende Vertragsänderung sowie um Urlaubsansprüche des Klägers.

Der am 15.12.1973 geborenen Kläger ist aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 03.03.2003 (Bl. 23 – 25 d. A.) als Pilot für die Beklagte, eine Luftfahrtgesellschaft tätig. Der Kläger wurde zunächst auf dem Flugmuster Canadair 200/700 eingesetzt.

Ab März 2005 wechselte der Kläger freiwillig auf das Flugmuster AVRO der Herstellerfirma B, dass im Wesentlichen baugleich war mit dem Flugzeugmuster BAe 146.

In dem Flotteninfo 3/2004 (Blatt 614 f. d. A.) wurde beschrieben, dass auf einem Flug nach Oslo mit diesem Flugzeugmuster ein Vorfall mit beißendem intensiven Geruch im Cockpit aufgetreten war. Als Ursache wurde verbranntes Öl vermutet. In dem Flotteninfo hieß es dazu weiter: „Im approach klagte der FO über einsetzende Kopfschrmerzen, die am Boden wieder abklangen.”

Im Flotteninfo 03/2006 wurde über einen Smoke-in-Cabin-Vorfall berichtet. Dazu hieß es (Blatt 621 d. A.):

„Nach der Landung stellten wir die Luftversorgung der Air Conditioning Packs wieder auf APU-Air um, erneut entwickelte sich Qualm, wir schalten die Klimaanlage wieder aus und rollten zur Parkposition.”

Im Jahr 2007 war der Kläger in der 2. Jahreshälfte insgesamt 5 Monate arbeitsunfähig krank.

In der Arbeitsausschusssitzung der Beklagten vom 13.03.2007 (Protokoll Bl. 607 ff. d. A.) wurden unter Punkt 5.1 die Thematik „Ölgeruch im Flugzeug” thematisiert. Dazu hieß es im Protokoll (Bl. 608 d. A.):

„Durch die PV wurde berichtet, dass in letzter Zeit 5 flight reports eingegangen sind, in denen zu Ölgeruch im Flugzeug, v. a. ARJ berichtet wird Hr. J berichtete weiterhin über Messergebnisse aus England, in denen Vorfälle auf der BAE 146 untersucht wurden; diese Ergebnisse wurden während einer Tagung in London vorgestellt. Herr J wird hierzu zur nächsten ASA referieren und diese Untersuchungen vorstellen. Die Forderung der PV zu Messungen bezüglich dieser Ölgerüche ist leider nicht so einfach umsetzbar. Ölgerüche sind keine planbaren Ereignisse, die messbar bzw. messtechnisch erfassbar sind. RP/C wird sich jedoch bei der BGF und PX zu den Möglichkeiten informieren.”

Ab dem 19.01.2008 arbeitete der Kläger wieder. Mit e-mail vom 13.02.2008 (Bl. 623 f. d. A.) beschwerte sich der ebenfalls für die Beklagte als Pilot tätige Herr A darüber, dass man sich der von den Öldämpfen ausgehenden Gesundheitsgefahren für alle Flugzeuginsassen nicht bewusst sei und regte eine Stellungnahme seitens des Flugbetriebs an. Hierzu hatte Herr T einen Flight Report erstellt (Bl. 624 d. A.), in welchem darauf hingewiesen wurde, dass man auf dem Flugzeugmuster AVRO hin und wieder mit schlechter Qualität der Atemluft im Cockpit und/oder der Kabine konfrontiert sei. Der Oil Smell rühre von Motor oder APU-Öl her, welches aufgrund eines Defekts, eines schadhaften oder verbrauchten Filters oder schlichtweg wegen einer Fehlbedienung in den Flugzeuginnenraum gelangt sei. In dem Flight Report vertrat Herr Ti die Auffassung, dass von der Kontaminierung der Atemluft mit dem von der Beklagten verwendeten Öl eine nicht zu vernachlässigende Gesundheitsgefahr für Besatzung und Passagiere ausgehe, und machte deutlich, dass er eine Diskussion des Themas innerhalb des Flugbetriebs für unumgänglich halte.

Mit Ausgabedatum Februar 2008 gab die Herstellerfirma, die B eine Herstellerinformation über den Flugzeugmustertyp heraus, welche in Abschnitt 3 auch Ausführungen zur Notwendigkeit medizinischer Tests bei entsprechenden Vorfällen enthielt (Bl. 570 ff. d. A., Bl. 578 d. A.).

Vom 05.03.2008 bis zum 16.04.2008 befand sich der Kläger in einer Kur.

Für das in dem Flugzeugmuster AVRO verwendete Triebwerksöl gab die Firma E am 04.07.2008 ein EG Sicherheitsdatenblatt heraus (Bl. 468 ff. d. A.), in welchem a...

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