Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Verfall von Urlaubstagen wegen Quarantäne. Nachgewährung von Urlaub bei Quarantäneanordnung

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Urlaub ist nachzugewähren bzw. dem Urlaubskonto gutzuschreiben, wenn der Arbeitnehmer in seinem Urlaub in Quarantäne muss. Denn diese nicht selbstbestimmte Situation ist vergleichbar mit der Erkrankung im Urlaub.

 

Normenkette

BUrlG § 9; IfSG § 56; RL 2003/88/EG; BUrlG § 1; ZPO § 91

 

Verfahrensgang

ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 28.07.2021; Aktenzeichen 2 Ca 2784/20)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 28.07.2021 - 2 Ca 2784/20 - abgeändert.

Die Beklage wird verurteilt, dem Urlaubskonto des Klägers 8 Urlaubstage hinzuzufügen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Gutschrift von acht Urlaubstagen für das Jahr 2020.

Der Kläger ist seit dem 24.11.1993 als Schlosser zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 3.000,00 € bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie NRW Anwendung.

In der Zeit vom 12.10.2020 bis 21.10.2020 gewährte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß Urlaub im Umfang von acht Tagen.

Unter dem 14.10.2020 erließ die Stadt Hagen eine Ordnungsverfügung, mit welcher sie die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 09.10.2020 bis 21.10.2020 anordnete (Bl. 26 ff. der Akte), da er zuvor mit einem bestätigten COVID-19-Fall in Kontakt gekommen war.

In der Quarantäneanordnung (Bl. 26 - 29 d.A.), auf die im Übrigen Bezug genommen wird, heißt es unter anderem:

"Es ist in dieser Zeit untersagt, ihre Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamtes zu verlassen. Ferner ist es ihnen in dieser Zeit untersagt, Besuch von Personen zu empfangen, die nicht Ihrem Haushalt angehören."

Der Kläger informierte die Beklagte unverzüglich über die Quarantäne.

Das Zeitkonto des Klägers (Bl. 30 ff. der Akte) wurde nach dem 21.10.2020 mit acht Urlaubstagen belastet.

Mit Schreiben vom 17.11.2020 sowie 30.11.2020 forderte der Kläger die Beklagte auf, seinem Urlaubskonto acht Tage gutzuschreiben (Bl. 33 ff. der Akte). Eine Reaktion seitens der Beklagten erfolgte nicht.

Mit der am 07.12.2020 beim Arbeitsgericht Hagen eingegangenen Klageschrift begehrte der Kläger die Gutschrift von acht Urlaubstagen auf seinem Urlaubskonto.

Er hat die Ansicht vertreten, die Quarantäneanordnungen hätten dem Erholungszweck entgegengestanden. Im Falle einer Quarantäneanordnung während eines geplanten Urlaubs erlösche der Urlaubsanspruch ähnlich einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht. Allein die Bewilligung eines Urlaubsantrags führe nicht zum Erlöschen des Anspruchs. Dieser würde nur dann erlöschen, wenn der Arbeitnehmer den ihm zustehenden Urlaub auch antrete. Der Urlaubsanspruch diene der Erholung des Arbeitnehmers, was im Fall der Quarantäneanordnung ebenso wie im Fall der Erkrankung nicht möglich sei und eine Anrechnung ebenso wie im Fall der Erkrankung gem. § 9 BurlG nicht dem Jahresurlaub angerechnet werde und der Urlaub für diese Zeit nicht als erfüllt gelte.

Gewährter Urlaub bedeute, der Arbeitnehmer sei für die Bewilligungsdauer von der ansonsten vertraglich bestehenden Arbeitspflicht suspendiert. Im vorliegenden Fall sei er jedoch nicht aufgrund seines geplanten Urlaubs, sondern aufgrund der behördlichen Quarantäneanordnung von seiner Arbeitspflicht suspendiert gewesen. Aus diesem Grund habe eine weitere Suspendierung von der Arbeitspflicht nicht mehr folgen können.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, dem Urlaubskonto des Klägers 8 Urlaubstage hinzuzufügen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, der Erholungszweck sei auch während der angeordneten Quarantäne gegeben. Sie sei bereits mit der Festlegung des Urlaubszeitraums, unter Berücksichtigung des gestellten Urlaubsantrags und der vorbehaltlosen Zusage und Leistung des Urlaubsentgelts als Schuldnerin des Urlaubsanspruchs von diesem frei geworden, da alles nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan sei. Über diese Erfüllungshandlung hinaus schulde sie keinen "Urlaubserfolg". Die Tarifvertragsparteien hätten keine besonderen Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub, insbesondere bezüglich des hier streitigen Falls, geregelt, wonach eine Umverteilung des Risikos zugunsten des Arbeitnehmers stattfinde.

Die Bestimmungen der §§ 9 und 10 BUrlG stellten nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschriften dar. Für eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG bestehe kein Rechtsraum, da die Voraussetzungen für eine Analogie nicht vorlägen. Mit § 9 BUrlG habe der Gesetzgeber einen "hergebrachten Grundsatz des Urlaubsrechts" kodifiziert. Es seien weitere Ausnahmevorschriften geschaffen worden, ohne den Anwendungsbereich von § 9 BUrlG zu berühren. Das Bundesurlaubsgesetz sei zeitlich nach dem Bundesseuchengesetz erlassen worden. Gleichwohl sei keine ausdrückliche Regelung für die Z...

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