Revision

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialauswahl. Sozialdatum ‚Betriebszugehörigkeit’. Berücksichtigung unternehmensfremder Vordienstzeiten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine einzelvertragliche Vereinbarung, die – unmittelbar durch Einschränkung der arbeitgeberseitigen Kündigungsmöglichkeit oder mittelbar durch Anrechnung unternehmensfremder Vordienstzeiten – einem Arbeitnehmer erhöhten Kündigungsschutz zugesteht, wirkt sich zu seinen Gunsten im Rahmen der Sozialauswahl aus, wenn die Vereinbarung wegen vorliegender Sachgründe keinen unverhältnismäßigen Eingriff in den durch § 1 Abs. 3 KSchG vermittelten Bestandsschutz der anderen Arbeitnehmer bedeutet.

2. Der Arbeitgeber hat bei seiner Auswahlentscheidung nach § 1 Abs. 3 KSchG regelmäßig die ‚Betriebszugehörigkeit’ vor anderen Sozialkriterien zu berücksichtigen.

 

Normenkette

KSchG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Duisburg (Urteil vom 13.05.2004; Aktenzeichen 1 Ca 201/04)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 02.06.2005; Aktenzeichen 2 AZR 480/04)

 

Tenor

Unter teilweiser Abänderung desUrteils des Arbeitsgerichts Duisburg vom13.05.2004 wird die Kündigungsschutzklage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Kosten erster Instanz tragen der Kläger zu 3/5 und die Beklagte zu 2/5.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung, zu deren sozialen Rechtfertigung sich die Beklagte auf betriebsbedingte Gründe beruft. Der Kläger bestreitet das Vorliegen solcher Gründe und rügt die vorgenommene Sozialauswahl.

Der Kläger, am 23.04.1961 geboren, gelernter Bürokaufmann, trat am 15.08.1995 „als Ausbilder im Bereich Bürokaufleute” in die Dienste der Beklagten.

Die Beklagte, eine gemeinnützige Gesellschaft für Beschäftigungsförderung mit Sitz in E., befasst sich mit der Durchführung geförderter Berufsausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz und mit Berufsfortbildung. Sie finanziert sich durch Fördermittel, EU-Mittel sowie durch Zuschüsse ihrer Hauptgesellschafterin, der Stadt E., für die ihr weiterhin übertragene Aufgabe der Beratung und Vermittlung von Sozialhilfeempfängern.

Die Beklagte führt u.a. von der Arbeitsverwaltung geförderte Ausbildungen in den Bereichen ‚Bürokaufleute’, ‚Groß- und Außenhandelskaufleute’ und ‚Speditionskaufleute’ durch. Der Auftragsvergabe durch die Arbeitsverwaltung gehen jeweils Ausschreibungen voraus, die in einem Personalschlüssel die Zahl der Auszubildenden pro Ausbilder festlegen. Bei dem auf eine Ausschreibung abgegebenen Gebot steht die Beklagte im (preislichen) Wettbewerb zu privaten Anbietern.

Die Beschäftigtenzahl der Beklagten sank von 210 (Jahr 2003) auf 135 Arbeitnehmer (Jahr 2004). Im Jahr 2003 schränkte die Arbeitsverwaltung die Ausbildungsförderung von Bürokaufleuten aufgrund negativer Einschätzung der Berufsaussichten auf dem Arbeitsmarkt ein. Als Folgeaufträge in diesem Bereich ausblieben, traf die Beklagte im November 2003 („Liste vom 13.11.03” Bl. 51 GA) die Prognose, dass die Zahl der Auszubildenden im Bereich Bürokaufleute von 61 (Stand 31.10.2003) auf 30 (31.07.2004) zurückgehen und – nach dem zugrunde gelegten Personalschlüssel von 15 Auszubildende: 1 Ausbilder – zwei Ausbilder ausreichen würden. Zum Abbau des Personalüberhangs beschloss sie, den Kläger zum 30.06.2004 zu entlassen und im Bereich Bürokaufleute die Ausbilder Herr v. A. und Frau G. zu belassen.

Unter dem 15.12.2003 hörte sie den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an (Bl. 19 GA.). Nach dessen Widerspruch vom 23.12.2003 (Bl. 90 GA.) erklärte sie mit Schreiben vom 06.01.2004 gegenüber dem Kläger die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2004. Seit der Entlassung des Klägers wird die Ausbildung im Bereich Bürokaufleute nur noch von Herrn v. A. und Frau G. durchgeführt. Infolge einer hohen Durchfallquote verblieben in allen Bereichen 67 Auszubildende (prognostiziert 57). Im Bereich Bürokaufleute sank allerdings die Zahl der derzeit tatsächlichen Auszubildenden auf 31 (prognostiziert 30), nachdem es dort zu einer Kündigung mit nachfolgendem Aufhebungsvertrag, Inanspruchnahme von Elternzeit durch zwei Auszubildende und in drei Fällen zur Übernahme der Ausbildung durch Partnerbetriebe gekommen war.

Mit der vor dem Arbeitsgericht Duisburg erhobenen Klage hat der Kläger die Betriebsbedingtheit der Kündigung bestritten und der Prognose der Beklagten eine erfahrungsgemäß höhere Durchfallquote mit der Folge, dass mehr Auszubildende bei der Beklagten verbleiben würden, entgegengehalten. Außerdem hat er geltend gemacht, dass die Beklagte ihn im sog. Kaufmännischen Kompetenzcenter (KKC) anstelle von Honorarkräften (Dozenten) einsetzen könne. Schließlich hat er die vorgenommene Sozialauswahl gerügt: Vor ihm hätten Herr T. (Ausbilder für Groß- und Außenhandelskaufleute) und insbesondere Herr v. A., der als Ausbilder für Bürokaufleute mit ihm vergleichbar sei, entlassen werden müssen.

Mit der – im August 2000 erfolgten – Einstellung des Ausbilders Herrn v. A. (ge...

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