Entscheidungsstichwort (Thema)

Treuepflicht des Arbeitnehmers bei Kenntnis von strafbaren Handlungen anderer Arbeitnehmer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Arbeitgeber von unerlaubten Handlungen anderer Arbeitnehmer Mitteilung zu machen.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2; BGB § 611

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 16.08.1988; Aktenzeichen 27 Ca 461/87)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. August 1988 – 27 Ca 461/87 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Für die Rechtsmittelinstanz wird der Wert des Streitgegenstandes auf 7.811,– DM festgesetzt.

 

Tatbestand

Der 1938 geborene Kläger trat am 2. Januar 1972 als Fleischergeselle – Ausschneider – in die Dienste der Beklagten, die in der Regel mehr als 5 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt. Er erzielte im Leistungslohn einen durchschnittlichen Monatsverdienst in Höhe von 3.200,– DM bis 3.300,– DM brutto.

Die Beklagte betreibt ein Fleischgroßhandels- und Zerlegeunternehmen, deren Betriebsräume sich auf dem Fleischgroßmarkt in der Beusselstraße 44 n – q in Berlin 21 befinden und von der Fleischgroßmarkt Berlin Verwaltungsgenossenschaft eG gemietet worden sind. Auf dem Gelände des Fleischgroßmarktes arbeiten etwa 40–50 Fleischereibetriebe, so auch die Firma … und … Nach der „Marktordnung für den Fleischgroßmarkt Berlin” vom 10. Mai 1967 sind für den Fleischgroßmarkt Großschlächter, Fleischwarenfabrikanten, Großhändler usw. zugelassen, über die zugelassenen Firmen erhalten die dort beschäftigten Arbeitnehmer die Erlaubnis, den Fleischgroßmarkt zu betreten.

Außerhalb der einzelnen Betriebe befinden sich Sozialräume, in denen die Mitarbeiter der einzelnen Firmen ihre Sachen aufbewahren. Der Zugang zu den Sozialräumen erfolgt über lange, überdachte Gänge, wobei sich unterhalb der Decken L-Bleche befinden, auf denen Kabel verlegt sind.

Ende August 1987 entdeckten die Mitarbeiter und … der Firma … und … auf dem Gelände des Fleischgroßmarktes ein Warenversteck, und zwar war auf den Kabeln Kalbsleber abgelegt, die später nicht mehr vorhanden war. Diese Mitarbeiter vermuteten, daß es sich um Diebesgut handelte. Zur Aufklärung der Hintergründe installierten sie eine Videokamera, die räumlich den Bereich abdeckte, in dem die Kalbsleber gefunden worden war. Nachdem auf diese weise am 12. November 1987 ein Mitarbeiter der Beklagten, der frühere Betriebsobmann identifiziert werden konnte und die Polizei im Kühlschrank im Personalraum der Beklagten eine frische Kalbsleber gefunden hatte, die zu jener Zeit bei der Beklagten nicht gehandelt wurde, sah sich der Geschäftsführer der Beklagten am 16. November 1987 weitere aufgezeichnete Videoaufnahmen an. Eine der Aufzeichnungen zeigte den Kläger zusammen mit dem Betriebsobmann … am 2. September 1987 am fraglichen Versteck, in das der Kläger hineinlangte, ohne jedoch Ware zu entnehmen.

Am 19. November 1987 erstattete die Firma … Fleischhandels KG Strafanzeige und Strafantrag unter anderem gegen den Kläger. Am selben Tage sprach auch die Verwaltung des Fleischgroßmarktes Berlin für den gesamten Bereich des Großmarktgeländes ein unbefristetes Marktverbot gegenüber dem Kläger aus. Die Beklagte teilte ihrem Betriebsobmann mit Schreiben vom 19. November 1987 mit, daß sie beabsichtige, eine fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung des Klägers auszusprechen, und zwar wegen des Vorfalles, der durch die Videokamera aufgedeckt worden sei. Obwohl der Betriebsobmann die „Zustimmung” zur Kündigung mit Schreiben vom 20. November 1987 abgelehnt hatte, hörte der Geschäftsführer der Beklagten am selben Tage den Kläger und den ebenfalls belasteten Arbeitnehmer … im Beisein ihres Betriebsleiters und des Betriebsobmannes zum Inhalt der Strafanzeige und zu dem Marktverbot an. Auf die Frage des. Geschäftsführers, was es mit dem Warenversteck auf sich habe, erklärten sowohl Herr … als auch der Kläger, von einem solchen Versteck nichts zu wissen. Sie wüßten nicht, was die Frage überhaupt solle. Daraufhin beschrieb der Geschäftsführer der Beklagten das Versteck und den Inhalt der am 16. November 1987 gesehenen Videoaufzeichnungen, ohne daß dazu von den betroffenen Arbeitnehmern eine Stellungnahme abgegeben wurde.

Das vor dem Amtsgericht Tiergarten unter anderm gegen den Kläger durchgeführte Strafverfahren – 254 Ds 107/88 – wegen Hehlerei ist zwischenzeitlich abgeschlossen, und zwar durch Freispruch des Klägers.

Mit Schreiben vom 26. November 1987, dem Kläger zugegangen am 27. November 1987, kündigte die Beklagte den Arbeitsvertrag des Klägers fristlos, hilfsweise fristgemäß zum nächstmöglichen Termin.

Mit der beim Arbeitsgericht Berlin am 3. Dezember 1987 eingegangenen und der Beklagten am 15. Januar 1988 zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung gewandt und die Auffassung vertreten, daß weder eine außerordentliche fristlose noch eine ordentliche fristgerechte Kündigung gere...

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