Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriff der politischen Weiterbildung i.S. von § 1 Abs. 4 BiZG BW. Anspruch eines Arbeitnehmers auf Freistellung zur Teilnahme an einem Seminar "Arbeitnehmer(innen) in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft"

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 1 Abs. 4 Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg (BzG BW) dient eine Veranstaltung dann der politischen Weiterbildung, wenn über politische Zusammenhänge und Mitwirkungsmöglichkeiten im politischen Leben informiert wird. Dies ist auch dann gegeben, wenn das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge verbessert sowie die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf gefördert werden sollen. § 1 Abs. 4 BzG BWliegt ein weiter Politikbegriff zugrunde. Dies folgt aus einer an Wortlaut, Sinn und Zweck orientierten, völkerrechts- und verfassungskonformen Auslegung.In diesem Sinne dient das Seminar "Arbeitnehmer(innen) in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft " der politischen Weiterbildung im Sinne von § 1 Abs. 2 BzG BW.

2. Eine den Anspruch auf Bildungszeit ausschließende Veranstaltung (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 BzG BW) liegt vor, wenn bei dieser die Teilnahme von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei, Gewerkschaft, einem Berufsverband, einer Religionsgemeinschaft oder einer ähnlichen Vereinigung abhängig gemacht wird. Veranstaltungen von Gewerkschaften, die auf der Internetseite der Gewerkschaft als für "interessierte Arbeitnehmer(innen)" offenstehend beworben werden, sind für jedermann zugänglich.3. Weder Teilnahmekosten, die vom anerkannten Bildungsträger für Gewerkschafts-mitglieder übernommen werden, noch der Umstand, dass die Veranstaltung auch als Schulung nach § 37 Abs. 6 BetrVG ausgeschrieben wurde, stehen der Zugänglichkeit für jedermann entgegen.

 

Normenkette

BiZG BW

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 23.02.2017; Aktenzeichen 9 Ca 350/16)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 23.02.2017 - 9 Ca 350/16 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gutschrift von Zeiten auf das für ihn geführte Arbeitszeitkonto und Urlaubskonto im Zusammenhang mit bezahlter Freistellung nach dem Bildungszeitgesetz des Landes Baden-Württemberg vom 17. März 2015 (im Folgenden: BzG BW).

Der Kläger ist seit 2006 bei der Beklagten beschäftigt und zuletzt als Verfahrensmechaniker mit 35 Wochenstunden tätig. Er ist Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. Die Beklagte, ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, stellt Sicherheitstechnik für die Automobilindustrie her und beschäftigt ca. 1.600 Personen.

Unter Verwendung eines hierfür vorgesehenen Formulars beantragte der Kläger am 27. Juli 2016 seine Freistellung nach § 7 BzG BW für die Bildungsmaßnahme "Arbeitnehmer(innen) in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft" im Zeitraum vom 25. September 2016 bis 30. September 2016 nach dem BzG BW. Ausweislich des Antrags sollten ihm als Unterlagen beigefügt sein: Ein Themenplan und der Auszug aus dem Bildungsprogramm/Flyer. Das Seminar führte das Bildungszentrum der IG Metall in L. durch, eine gemäß § 9 BzG BW anerkannte Bildungseinrichtung.

In dem unstreitig dem Antrag beigefügten Themenplan wird das Seminar folgendermaßen beschrieben (auszugsweise):

"Wie funktioniert eigentlich Marktwirtschaft. Für die Unternehmen und für die Beschäftigten? Sind wir nur Rädchen im Betrieb? Oder haben Beschäftigte auch einen spürbaren Einfluss? Einfluss auf den Geschäftserfolg, Einfluss auf die Unternehmenskultur, auf die Ausrichtung eines Unternehmens? Wie wird die Steuerung eines Unternehmens von der Mehrheit der Beschäftigten wahrgenommen: Die da oben ordnen an und wir unten können nur ausführen? Oder als gleichberechtigte Wirtschaftsbeziehung? Für das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft gilt "Teilhabe". Der Betriebsrat - als Vertreter der Beschäftigten - nimmt Teil an wichtigen Entscheidungen des Unternehmens. Mitbestimmung - ein Stück Demokratie im Betrieb - ist einer der wichtigsten Grundsätze des sozialen Miteinanders.

Mitbestimmung - dieses Prinzip wird seit Jahrzehnten in Deutschland praktiziert. Ein demokratisches Erfolgsmodell sagen viele. Der ständige Dialog zwischen den Betriebsparteien (Betriebsrat und Unternehmensleitung) vermeidet sehr viel Reibungsverlust und hilft so Unternehmen und Beschäftigten. Arbeitnehmer in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft - ein spannungsreiches Themenfeld für ein spannendes Seminar.

Themen im Seminar:

Erfolgsmodell Mitbestimmung, Rechte der Arbeitnehmer, Wächst die Wirtschaft - wachsende Einkommen?, Wirtschaftliche Ergebnisse - wie verteilt, Der Kompromiss als gesellschaftliche Regel?, Interessenvertreter: Wer kümmert sich um was?, Politik im Spannungsfeld wirtschaftlicher Interessen; Verhandlung, Diplomatie, Ergebnisdarstellung

Zielgruppe:

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