Nach § 2 Abs. 4 AGG gelten für Kündigungen, die unter das KSchG fallen, ausschließlich die Vorschriften des Kündigungsrechts. Das bedeutet aber nicht, dass das AGG deshalb nicht zu berücksichtigen ist, sondern die Diskriminierungsverbote sind Bestandteil der Überprüfung der Sozialwidrigkeit der Kündigung. Eine Kündigung, die eine verbotene Benachteiligung darstellt, ist immer auch sozialwidrig. Daneben hat der Arbeitnehmer wegen der erlittenen Benachteiligung noch einen Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.[1] Das AGG nennt als ein verpöntes Merkmal die Behinderung. Der BAG legt den Begriff der Behinderung weit aus und kombiniert den Behinderungsbegriff des EuGH, der stärker berufsorientiert ist mit dem psycho-sozialen Behinderungsbegriff des § 2 Abs. 1 SGB IX. Der EuGH nimmt eine Behinderung im Sinne des AGG an, wenn eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit eine lang dauernde Einschränkung mit sich bringt und den Betroffenen an der vollen Teilhabe am Berufsleben hindern kann. Eine Behinderung liegt schon in der Beeinträchtigung der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit, nicht erst in ihrer Unmöglichkeit.[2] Demgegenüber knüpft die Definition der Behinderung in § 2 Abs. 1 SGB IX daran an, dass Menschen behindert sind, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Arbeitnehmer kann sich auf den für ihn jeweils "günstigeren" Behinderungsbegriff berufen. Auf die Feststellung eines Grades der Behinderung kommt es nicht an.

Eine Krankheit, die zu kündigungsrelevanten Ausfallzeiten führt, ist daher auch in vielen Fällen gleichzeitig eine Behinderung im Sinne dieses Verständnisses. Zwar hat der EuGH klargestellt, dass eine Krankheit nicht einer Behinderung gleichzusetzen ist.[3] Das schließt jedoch nur eine "automatische" Gleichsetzung aus. Erfüllt eine Krankheit aber den Behinderungsbegriff im vorgeschriebenen Sinne, stellt sie zugleich eine Behinderung dar.

Das hat Auswirkungen für die krankheitsbedingte Kündigung, denn der Arbeitnehmer kann sich auch darauf berufen, die Kündigung stelle eine Benachteiligung wegen einer Behinderung dar und sei bereits deswegen sozial ungerechtfertigt.

Das Bundesarbeitsgericht verlangt für eine nicht diskriminierende Kündigung unter Berufung auf die UN-Berhindertenrechtskonvention vom Arbeitgeber, dass er die Beschäftigung des Arbeitnehmers dadurch ermöglicht, dass er die ihm organisatorisch und finanziell zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Kündigung ergreift, die "wirksam und praktikabel, für den Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig" sein sollen. Hinsichtlich der Zumutbarkeit der Kosten und ggf. zu veranlassenden Maßnahmen kommt es neben der Finanzkraft der Arbeitgeberin und der Frage, ob sie öffentliche Mittel in Anspruch hätte nehmen können, darauf an, wie lange der Arbeitnehmer bereits beschäftigt ist und dass der Arbeitgeber für seine Behinderung nicht verantwortlich ist. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verlangt nicht, dass die Einstellung und Beschäftigung eines Behinderten für den Arbeitgeber zum "Zuschussgeschäft" wird.[4]

Das stellt aber im Ergebnis keine wesentliche Verschärfung der schon vorher hohen Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung dar. Es galt schon bisher, dass die Kündigung letztes Mittel sein musste und andere Maßnahmen zur Reduzierung der Fehlzeiten nicht zur Verfügung standen oder erfolglos waren.

Neu ist allerdings, dass sich der Arbeitgeber bei einer unwirksamen krankheitsbedingten Kündigung dem Vorwurf aussetzt, er habe den Arbeitnehmer entgegen § 7 AGG benachteiligt. Das kann neben der Unwirksamkeit der Kündigung auch noch die Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung zur Folge haben. Um sich davor zu schützen, sollte der Arbeitgeber folgende Punkte berücksichtigen:

  • Keine krankheitsbedingte Kündigung ohne vorheriges BEM. Gerade die Durchführung des BEM zeigt, dass es dem Arbeitgeber wichtig ist, den Erkrankten in den Arbeitsprozess zu reintegrieren und nicht zu benachteiligen. Führt das BEM zu keinem Ergebnis, spricht das für eine Berechtigung der Kündigung.
  • Auch die Umorganisation von Arbeitsprozessen oder Abläufen in Betracht ziehen, um einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu schaffen. Auch das gehört zu den dem Arbeitgeber zumutbaren Maßnahmen. Der Auffassung, der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet bestimmte Arbeitsplätze für den Arbeitnehmer zu schaffen, ist unzutreffend, wenn das durch zumutbare organisatorische Maßnahmen möglich ist.
  • Keine krankheitsbedingte Kündigung "aufs Geratewohl" und ernsthafte Aussicht auf Erfolg in der Annahme, man werde den Mitarbeiter schon über eine Abfindung "herauskaufen" können. Wenn dieses Vorhaben misslingt, steht der Vorwurf der Benachteiligung wegen der Behinderung umso deutlicher im Raum.
  • Angebot der einvernehmlichen Fortsetzung des Arbeitsverhäl...

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