Zu beachten ist die Rechtsprechung zur Anwendung der Sonderkündigungstatbestände des Einigungsvertrags[1] (außerordentliche Kündigung von ehemaligen Mitarbeitern des MfS/AfnS[2] bzw. von Personen mit besonderer staatstragender Funktion in der DDR und bei festgestellten Verstößen gegen Menschenrechte). In der Praxis sind 2 Fallkonstellationen zu unterscheiden, nämlich die außerordentliche Kündigung wegen einer Tätigkeit für das MfS/AfNS und die Kündigung wegen unwahrer Angaben zur Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS.

[1] Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 zum Einigungsvertrag.
[2] Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit der DDR.

25.1 Außerordentliche Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS/AfNS

Die Mitarbeit beim MfS/AfNS der DDR lässt grundsätzlich die Ungeeignetheit für eine Tätigkeit in einer demokratisch legitimierten und rechtsstaatlich verfassten Verwaltung vermuten. Daher enthält der Einigungsvertrag a. a. O. folgende Bestimmung:

„Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung ist insbesondere dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer

  1. gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, insbesondere die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 gewährleisteten Menschenrechte oder die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 enthaltenen Grundsätze verletzt hat oder
  2. für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit tätig war

und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint."

Der Begriff "Tätigkeit" ist weit zu fassen. Als Tätigkeit für das MfS/AfNS gilt ein bewusst auf die Verwirklichung der Ziele des MfS gerichtetes Handeln. Darauf, ob der Betreffende hauptamtlicher oder gesellschaftlicher Mitarbeiter des MfS war, kommt es nicht an.[1] Auch das Bereitstellen einer Wohnung bzw. eines Zimmers für konspirative Zwecke stellt grundsätzlich eine Tätigkeit für das MfS dar. Allein die Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung ohne tatsächliches Tätigwerden reicht hingegen nicht aus.[2]

Bei den Sonderkündigungstatbeständen des Einigungsvertrags handelt es sich um eigenständige und abschließende Regelungen für eine außerordentliche Kündigung im öffentlichen Dienst. Einer Ergänzung durch eine teilweise oder vollständige Anwendung des § 626 BGB bedarf es daher nicht. Die Ausschlussfrist des § 626 BGB (vgl. Punkt 11 Außerordentliche Kündigung) findet auf die außerordentliche Kündigung nach dem Einigungsvertrag keine Anwendung. Das gesetzlich vorgeschriebene personalvertretungsrechtliche Beteiligungsverfahren (vgl. Punkt 22 "Beteiligung des Personalrats") ist jedoch Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung nach dem Einigungsvertrag.

Auch vor einer Kündigung nach dem Einigungsvertrag ist eine Interessenabwägung (Einzelfallprüfung) durchzuführen. Hierbei ist die konkrete Tätigkeit für das MfS/AfNS (das individuelle Maß der Verstrickung) in das Verhältnis zur heutigen Funktion im öffentlichen Dienst zu setzen. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst um so eher unzumutbar sein wird, je herausgehobener die Position im öffentlichen Dienst ist.[3]

Bei der Interessenabwägung ist überdies der Zeitfaktor zu berücksichtigen. Der wichtige Grund kann durch bloßen Zeitablauf entfallen, wenn der Kündigungsberechtigte die Kündigung trotz Kenntnis des Kündigungsgrundes hinauszögert, ohne dass bereits die weitergehenden Voraussetzungen einer Verwirkung erfüllt sein müssen.[4]

25.2 Kündigung wegen unwahrer Angaben zur Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS

Von der Kündigung wegen (erwiesener) Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS ist die Kündigung zu unterscheiden, die der Arbeitgeber infolge unwahrer Angaben des Arbeitnehmers zur Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS bei seiner Einstellung (bzw. nach dem Beitritt der DDR zur BRD) ausgesprochen hat. Ein fehlerhaft ausgefüllter Personalfragebogen kann im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes eine Kündigung wegen Störung des Vertrauensverhältnisses rechtfertigen.

Grundsätzlich wird davon auszugehen sein, dass Arbeitnehmer, die im Beitrittsgebiet neu in den öffentlichen Dienst eingestellt werden, nach einer Tätigkeit für das MfS/AfNS befragt werden und zur wahrheitsgemäßen Auskunft verpflichtet sind. Stellt sich im Nachhinein die abgegebene Erklärung des Arbeitnehmers als Lüge heraus, berechtigt dies den Arbeitgeber grundsätzlich zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Falschbeantwortung von Fragen nach einer MfS-Tätigkeit offenbart regelmäßig die mangelnde persönliche Eignung für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst. In einer Interessenabwägung ist jedoch zu prüfen, ob die einmalige Unehrlichkeit Auswirkungen auf die konkret auszuübende Tätigkeit oder ein schützenswertes Vertrauen des Arbeitgebers hat. Anderenfalls kann eine Abmahnung als ausreichende Sanktion a...

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