BAG, Urteil vom 19.5.2021, 5 AZR 318/20

Kommunale Mandatsträger haben keinen Anspruch darauf, dass Zeiten, in denen sie ihr politisches Mandat ausüben, auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden und den Umfang ihrer Arbeitspflicht reduziert.

Sachverhalt

Die Klägerin ist Fallmanagerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit in einem städtischen Jobcenter in Nordrhein-Westfalen. Sie ist vollbeschäftigt und in Gleitzeit tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA) Anwendung. Neben ihrer Beschäftigung bei der Beklagten ist sie gewähltes Mitglied des Rats der Stadt und gehört einer der Fraktionen an. Die Rats- und Fraktionssitzungen fanden stets am Montag statt. Für deren Teilnahme schrieb die Beklagte der Klägerin bei jeweils ganztägiger Sitzungsdauer die durchschnittliche Arbeitszeit pro Tag von 7 Stunden und 48 Minuten gut. Ab April 2019 weigerte sich die Beklagte jedoch, weitere Zeitgutschriften vorzunehmen. Sie verwies hierbei auf eine ergänzte Dienstanweisung zur Umsetzung des § 32 TV-BA.

Die Klägerin machte nun mit ihrer Klage die Zeitgutschriften geltend.

Die Entscheidung

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Gericht entschied, dass die Klägerin weder nach § 616 BGB noch nach § 32 TV-BA (entspricht § 29 TVöD/TV-L) einen Anspruch auf Gutschrift von Zeiten der Mandatsausübung in den Rats- und Fraktionssitzungen habe.

Das BAG führte hierzu aus, dass die Klägerin aus 616 Satz 1 BGB keinen entsprechenden Anspruch herleiten könne. Dies gelte unabhängig von der begrenzten Anwendbarkeit der Vorschrift durch § 32 TV-BA, da sich hiernach ein Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung nur auf die in Abs. 1 der Tarifregelung benannten Fälle beschränke. Auch scheitere der Anspruch auf die Zeitgutschrift nicht daran, dass § 616 Satz 1 i. V. m. § 611a Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung regele, die Klägerin dagegen eine Zeitgutschrift auf ihrem Arbeitszeitkonto verlangte; denn ein Arbeitszeitkonto halte fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 Abs. 1 Satz 1 BGB erbracht habe oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands nicht habe erbringen müssen und deshalb Vergütung beanspruchen könne bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte und gezahlte Vergütung erbringen müsse. Insoweit drücke das Arbeitszeitkonto, wenn auch in anderer Form, den Vergütungsanspruch aus (so die st. Rspr.: s. BAG, Urteil vom 23.2.2021 – 5 AZR 304/20).

Ein Anspruch gem. § 616 BGB scheitere jedoch daran, dass die entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorlagen; denn § 616 Satz 1 BGB, wonach ein Arbeitnehmer des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig werde, wenn er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert werde, durchbreche in Abweichung von den §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB zugunsten des Arbeitnehmers den Grundsatz "Kein Lohn ohne Arbeit". Insoweit setzte § 616 Satz 1 BGB voraus, dass der Arbeitnehmer durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Arbeitsleistung tatsächlich verhindert sei, wozu grundsätzlich auch die Erfüllung öffentlich-rechtlicher und/oder ehrenamtlicher Verpflichtungen gehören können. Allerdings gelte dies nur, wenn es sich um eine Pflicht handele, der sich der Arbeitnehmer aufgrund rechtlicher Vorgaben grundsätzlich nicht entziehen könne, z. B. einer Inanspruchnahme als ehrenamtlicher Richter. Dagegen sei die Ausübung eines Wahlmandats wie der Stadtratstätigkeit der Klägerin kein Verhinderungsgrund i. S. d. § 616 Satz 1 BGB, da die Übernahme des Mandats auf einem freien Willensentschluss und nicht auf rechtlichem Zwang beruhe, so dass die sich aus der Mandatstätigkeit resultierende Arbeitsverhinderung der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers zuzurechnen sei. Für diese Fälle greife der Entgeltanspruch des § 616 Satz 1 BGB nicht.

Auch aus § 32 TV-BA ergab sich nach Auffassung des BAG kein Anspruch auf die begehrte Zeitgutschrift. Auch wenn die tarifliche Regelung verschiedene persönliche Anlässe erfasse, die als Fälle des § 616 BGB gelten und in denen Beschäftigte unter Fortzahlung des Entgelts in dem gegebenen Ausmaß von der Arbeit freigestellt werden, sei die Ausübung eines kommunalen Mandats dort nicht genannt. Zwar seien von 32 Abs. 2 TV-BA auch die Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten nach deutschem Recht erfasst. Allerdings seien Pflichten i. S. d. Vorschrift nur solche, die jeden Staatsbürger ohne weiteres treffen können und nicht nach allgemeiner Erfahrung treffen (so BAG, Urteil vom 7.11.1991, 6 AZR 496/89), z. B. die nach einer Prozessordnung erzwingbare Pflicht, als Zeuge vor Gericht zu erscheinen und auszusagen (so BAG, Urteil vom 13.12.2001, 6 AZR 30/01). Da die Ausübung eines kommunalen Wahlmandats freiwillig sei, falle dies nicht unter Abs. 2. Ebenfalls lage...

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