Für die Praxis stellt sich das Problem der Abgrenzung zwischen mittlerer Fahrlässigkeit – keine Haftung gegenüber dem Arbeitgeber – und grober Fahrlässigkeit – i. d. R. volle Haftung.

Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit sind bei grober Fahrlässigkeit nicht nur objektive, sondern auch subjektive Umstände zu berücksichtigen:

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen[1], also wenn einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden. Es kommt aber nicht nur darauf an, was von einem durchschnittlichen Anforderungen entsprechenden Angehörigen des jeweiligen Verkehrskreises in der jeweiligen Situation erwartet werden konnte, ob also die Gefahr erkennbar und der Erfolg vorhersehbar und vermeidbar war, sondern auch darauf, ob der Schädigende nach seinen indivi­duellen Fähigkeiten die objektiv gebotene Sorgfalt erkennen und erbringen konnte. Zu berücksichtigen sind daher auch Umstände wie z. B. jugendliches Alter, mangelnde Erfahrung, Übermüdung, Eilauftrag etc.[2]

 
Praxis-Beispiel
  1. Ein Restaurantleiter eines Zugrestaurants lässt die Kellnerbrieftasche mit Tageseinnahmen i. H. v. ca. 3.000 EUR in einem zwar zugezogenen, aber unverschlossenen Schiebetürenschrank im Küchenabteil liegen und verlässt den Restaurantwagen für etwa 5 Minuten, um zu telefonieren. Bei seiner Rückkehr ist die Kellnerbrieftasche mit dem Geld verschwunden.
  2. Ein Berufskraftfahrer nimmt auf einer innerstädtischen Straße im Lkw mit einer Freisprechanlage einen Anruf entgegen, blättert im Rahmen des Gesprächs in Unterlagen, die auf dem Beifahrersitz liegen, und fährt dann bei Rot in die Kreuzung ein, wo er mit einem anderen Fahrzeug kollidiert.

    In beiden Fällen geht das BAG von grober Fahrlässigkeit aus.[3]

  3. Ein Personalsachbearbeiter im öffentlichen Dienst, der unter bewusstem Verstoß gegen eine Unterschriftenregelung und damit in Überschreitung seiner Kompetenzen (Unterzeichnung einer Änderungsmitteilung an das Landesamt für Besoldung und Versorgung, deren Unterzeichnung dem Sachgebietsleiter vorbehalten ist) veranlasst, dass Mitarbeitern der Dienststelle Überzahlungen (tarifliche Zulagen, überhöhte Vergütungsgruppe) zufließen, muss diese dem Arbeitgeber auch dann erstatten, wenn er – objektiv zu Unrecht – in gutem Glauben an ihre Rechtmäßigkeit gehandelt hat. Die Ausschlussfrist des § 70 BAT (§ 37 TVöD) beginnt hier nicht bereits mit der Überzahlung an die Bereicherten zu laufen, sondern erst dann, wenn sich der Arbeitgeber ohne schuldhaftes Zögern den erforderlichen groben Überblick verschaffen kann, der es ihm ermöglicht, den Bereicherten die Größenordnung seiner Forderung mitzuteilen. Das ist jedenfalls so lange nicht der Fall, wie der Verdacht einer Fehlbearbeitung noch nicht aufgetaucht ist.[4]

Grobe Fahrlässigkeit im besonderen Maße liegt z. B. vor bei einer Häufung von Fehlern und Unterlassungen, ohne dass eine besondere Stresssituation vorgelegen hat.

 
Praxis-Beispiel

Eine Ärztin in der Weiterbildung zur Fachärztin für Anästhesie verabreichte routinemäßig bei einer Magenoperation einer Patientin mit der Blutgruppe 0 zwei Blutkonserven, fälschlicherweise jedoch solche der Blutgruppe A. Die Ärztin hat weder selbst die Blutgruppe der Patientin festgestellt noch gemerkt, dass auf dem Transfusionsprotokoll der Name einer anderen Patientin stand. Auch den anschließenden Test zur Überprüfung der Übereinstimmung von Blutkonserve und Patientenblut hat sie nicht fachgerecht durchgeführt. Die Verwechslung der Blutgruppen wurde daher zu spät festgestellt, sodass die Patientin verstarb.

Da die Beklagte hier gleich mehrere Sicherheitsmaßnahmen, die ein Arzt bei einer Bluttransfusion zu beachten hat, nicht eingehalten hat, geht das BAG von einem besonders groben Verschulden aus, sodass eine Haftungserleichterung ausscheidet.[5]

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