Entscheidungsstichwort (Thema)

ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNALE AMMINISTRATIVO REGIONALE PER LA SARDEGNA – ITALIEN. FREIZUEGIGKEIT DER ARBEITNEHMER – AUSWAHLVERFAHREN FUER EINE STELLE IN DER OEFFENTLICHEN VERWALTUNG – IN EINEM ANDEREN MITGLIEDSTAAT ERWORBENE BERUFSERFAHRUNG. Freizuegigkeit – Arbeitnehmer – Gleichbehandlung – Zugang zur Beschäftigung – Berücksichtigung der früheren Berufstätigkeiten innerhalb einer öffentlichen Verwaltung bei der Einstellung durch eine öffentliche Einrichtung eines Mitgliedstaats – Unterscheidung gegenüber den Gemeinschaftsbürgern zwischen den im inländischen öffentlichen Dienst und den im öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedstaats ausgeuebten Tätigkeiten – Versteckte Diskriminierung – Unzulässigkeit (EWG-Vertrag, Artikel 48)

 

Leitsatz (amtlich)

Artikel 48 EWG-Vertrag verbietet nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen. Deswegen ist er dahin auszulegen, daß eine öffentliche Einrichtung eines Mitgliedstaats, wenn sie bei der Einstellung von Personal für Stellen, die nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 48 Absatz 4 EWG-Vertrag fallen, die Berücksichtigung der früheren Berufstätigkeiten der Bewerber innerhalb einer öffentlichen Verwaltung vorsieht, gegenüber den Gemeinschaftsbürgern nicht danach unterscheiden darf, ob diese Tätigkeiten im öffentlichen Dienst dieses Mitgliedstaats oder in dem eines anderen Mitgliedstaats ausgeuebt wurden.

 

Normenkette

EWGVtr Art. 7, 48, 1; EWGV 1612/68 Art. 1, 3

 

Beteiligte

Ingetraut Scholz

Opera Universitaria di Cagliari

Cinzia Porcedda

 

Tenor

Artikel 48 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß, wenn eine öffentliche Einrichtung eines Mitgliedstaats bei der Einstellung von Personal für Stellen, die nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 48 Absatz 4 EWG-Vertrag fallen, die Berücksichtigung der früheren Berufstätigkeiten der Bewerber innerhalb einer öffentlichen Verwaltung vorsieht, diese Einrichtung gegenüber den Gemeinschaftsbürgern nicht danach unterscheiden darf, ob diese Tätigkeiten im öffentlichen Dienst dieses Mitgliedstaats oder in dem eines anderen Mitgliedstaats ausgeübt wurden.

 

Gründe

1 Das Tribunale amministrativo regionale per la Sardegna hat mit Urteil vom 10. Juni 1992, in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen am 18. Dezember 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 7 und 48 EWG-Vertrag sowie der Artikel 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit über die Einstufung der Bewerber, mit der ein allgemeines Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen zur Besetzung von Stellen für Kantinenbedienstete an der Universität Cagliari abgeschlossen wurde.

3 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine gebürtige Deutsche, die durch Eheschließung die italienische Staatsangehörigkeit erworben hat, erhob gegen ihre Einstufung im Rahmen des vorgenannten Auswahlverfahrens eine Klage, die sie mit der Rechtswidrigkeit der Weigerung des Prüfungsausschusses für das Auswahlverfahren begründete, die Berufstätigkeit, die sie vor ihrer Eheschließung in der deutschen Postverwaltung ausgeuebt hatte, zu berücksichtigen, wie dies in der Ausschreibung des Auswahlverfahrens vorgesehen gewesen sei.

4 Die Ausschreibung des Auswahlverfahrens sah insbesondere vor, daß im Hinblick auf die abschließende Einstufung der Bewerber eine bestimmte Anzahl von Punkten für die Befähigungsnachweise und Dienste vergeben wurde. Sie enthielt keine näheren Angaben zur Art der früheren Berufserfahrung.

5 Das Tribunale amministrativo regionale per la Sardegna, bei dem die Klage anhängig ist, hat dem Gerichtshof daraufhin folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Artikel 7 und 48 EWG-Vertrag sowie die Artikel 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 dahin auszulegen, daß sie es verbieten, daß bei einem öffentlichen Auswahlverfahren zur Besetzung von Stellen, die nicht zu denjenigen gehören, für die der Vorbehalt des Artikels 48 Absatz 4 EWG-Vertrag gilt, der Berufstätigkeit in einer öffentlichen Verwaltung eines anderen Mitgliedstaats jede Bedeutung abgesprochen wird, wenn die Berufstätigkeit in einer Verwaltung des Staates, in dem das Auswahlverfahren ausgeschrieben wird, als brauchbarer Befähigungsnachweis für die endgültige Einstufung in dem Auswahlverfahren berücksichtigt wird?

6 Zunächst ist daran zu erinnern, daß Artikel 7 EWG-Vertrag, der jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet, nicht selbständig gilt, wenn der EWG-Vertrag, wie es in Artikel 48 Absatz 2 hinsichtlich der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer der Fall ist, ein besonderes Diskriminierungsverbot enthält (vgl. Urteil v...

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