Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialpolitik. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Artikel 141 EG. Gleiches Entgelt. Richtlinie 76/207/EWG. Gleichbehandlung. Mutterschaftsurlaub. Aufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe. Nicht vollständige Berücksichtigung eines nach den Rechtsvorschriften der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik genommenen Wochenurlaubs

 

Beteiligte

Sass

Land Brandenburg

Ursula Sass

 

Tenor

Die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen steht einer Regelung in einem Tarifvertrag wie dem Bundes-Angestelltentarifvertrag-Ost entgegen, wonach die Zeit, in der eine Arbeitnehmerin Wochenurlaub nach dem Recht der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik in Anspruch genommen hat, insoweit von der Anrechnung auf eine Bewährungszeit ausgeschlossen ist, als sie über die Schutzfrist nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland, auf das der Tarifvertrag abstellt, hinausgeht, sofern die Ziele und der Zweck beider Urlaubsregelungen den Zielen des Schutzes der Frau bei Schwangerschaft und Mutterschaft entsprechen, wie er in Artikel 2 Absatz 3 der genannten Richtlinie normiert ist. Die Prüfung, ob diese Bedingungen erfüllt sind, ist Sache des nationalen Gerichts.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,

eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 21. März 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 2. August 2002, in dem Verfahren

Land Brandenburg

gegen

Ursula Sass

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, des Richters A. Rosas (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter K. Lenaerts und S. von Bahr,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

Kanzler: F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • des Landes Brandenburg, vertreten durch Rechtsanwalt J. Borck,
  • von Frau Sass, vertreten durch Rechtsanwalt Th. Becker,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Martenczuk und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. April 2004,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 141 EG und der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40).

2

Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Frau Sass und ihrem Arbeitgeber, dem Land Brandenburg, in dem es darum geht, dass dieser einen von Frau Sass nach den Vorschriften der nunmehr ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: ehemalige DDR) genommenen Wochenurlaub bei der Berechnung der Bewährungszeit vor der möglichen Einstufung in eine höhere Vergütungsgruppe nicht vollständig berücksichtigt hat.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Gemeinschaftsrecht

3

In Artikel 141 EG ist der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit niedergelegt.

4

Die Richtlinie 76/207 zielt auf die Beseitigung jeder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei den Arbeitsbedingungen und den Bedingungen des Zugangs zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen auf allen Stufen der beruflichen Rangordnung ab, steht jedoch den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, nicht entgegen.

5

Ferner stellt die Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (ABl. L 348, S. 1) bestimmte Mindestanforderungen für deren Schutz auf.

6

Was den Mutterschaftsurlaub anbelangt, so garantiert die Richtlinie 92/85 in Artikel 8 das Recht auf einen Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung, wovon mindestens zwei Wochen obligatorisch sind. Zudem sieht sie in ihrem Artikel 11 vor, dass während des Urlaubs nach Artikel 8 die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung sowie die anderen mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte gewährleistet sein müssen.

7

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 92/85 von den Mitgliedstaaten erst bis zum 19. Oktober 1994 umzusetzen war, d. h. bis zu einem Zeitpunkt nach dem maßgebenden Sachverhalt.

B – Nationales Recht

8

In der ehemaligen DDR war die Stellung der Frau nach der Entbindung im Arbeitsgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: AGB-DDR) vom 16. Juni 1977 (GBl. I ...

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