Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Arbeitszeitgestaltung. Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Regelung eines Mitgliedstaats, nach der in Tarifverträgen bestimmt werden kann, dass Kurzarbeitszeiten bei der Berechnung des für den Jahresurlaub gezahlten Entgelts berücksichtigt werden. Zeitliche Wirkung der Auslegungsurteile

 

Normenkette

Richtlinie 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1

 

Beteiligte

Hein

Torsten Hein

Albert Holzkamm GmbH & Co. KG

 

Tenor

1. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, nach der in Tarifverträgen bestimmt werden kann, dass Verdienstkürzungen, die im Referenzzeitraum dadurch eintreten, dass an bestimmten Tagen aufgrund von Kurzarbeit keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht wird, bei der Berechnung der Urlaubsvergütung berücksichtigt werden, was zur Folge hat, dass der Arbeitnehmer für die Dauer des ihm nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 zustehenden Mindestjahresurlaubs eine Urlaubsvergütung erhält, die geringer ist als das gewöhnliche Arbeitsentgelt, das er in Arbeitszeiträumen erhält. Es obliegt dem vorlegenden Gericht, die nationale Regelung so weit wie möglich nach Wortlaut und Zweck der Richtlinie 2003/88 auszulegen, so dass die den Arbeitnehmern für den in Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Mindesturlaub gezahlte Urlaubsvergütung nicht geringer ausfällt als der Durchschnitt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts, das die Arbeitnehmer in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung erhalten.

2. Die zeitlichen Wirkungen des vorliegenden Urteils sind nicht zu beschränken, und das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es die nationalen Gerichte daran hindert, auf der Grundlage des nationalen Rechts das berechtigte Vertrauen der Arbeitgeber auf den Fortbestand der nationalen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu schützen, die die Rechtmäßigkeit der Regelungen des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe über den bezahlten Urlaub bestätigt hat.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Arbeitsgericht Verden (Deutschland) mit Entscheidung vom 19. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juni 2017, in dem Verfahren

Torsten Hein

gegen

Albert Holzkamm GmbH & Co. KG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos (Berichterstatter), E. Juhász und C. Vajda,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Hein, vertreten durch Rechtsanwältin S. Eidinger,
  • der Albert Holzkamm GmbH & Co. KG, vertreten durch die Rechtsanwältinnen C. Brehm und I. Witten,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. Fiandaca, avvocato dello Stato,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch T. S. Bohr und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. September 2018

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) sowie von Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Torsten Hein und der Albert Holzkamm GmbH & Co. KG (im Folgenden: Holzkamm) über die Berechnung der Urlaubsvergütung, d. h. des Entgelts, das Herrn Hein für seinen bezahlten Jahresurlaub zusteht.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 31 „Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen”) der Charta sieht vor:

„(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen.

(2) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.”

Rz. 4

In Art. 1 „Gegenstand und Anwendungsbereich”) der Richtlinie 2003/88 heißt es:

„(1) Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.

(2) Gegenstand dieser Richtlinie sind

a) … der Mindestjahresurlaub …

…”

Rz. 5

Nach Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „Arbeitszeit” „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder...

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