Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen. Beamte. Mehrarbeit. Mittelbare Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Frauen

 

Normenkette

EG Art. 141

 

Beteiligte

Voß

Ursula Voß

Land Berlin

 

Tenor

Art. 141 EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung der Beamtenbesoldung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, nach der zum einen sowohl die von vollzeitbeschäftigten Beamten geleistete Mehrarbeit als auch die von teilzeitbeschäftigten Beamten geleistete Mehrarbeit als Arbeit definiert wird, die von den Beamten über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus geleistet wird, und zum anderen diese Mehrarbeit zu einem geringeren Satz vergütet wird als dem Stundensatz, der auf die innerhalb der individuellen Arbeitszeit geleistete Arbeit entfällt, so dass teilzeitbeschäftigte Beamte für die Arbeit, die sie über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus bis zu der Stundenzahl leisten, die ein vollzeitbeschäftigter Beamter im Rahmen seiner Arbeitszeit erbringen muss, schlechter vergütet werden als vollzeitbeschäftigte Beamte, dann entgegensteht, wenn

  • von allen Beschäftigten, für die diese Regelung gilt, ein erheblich höherer Prozentsatz weiblicher als männlicher Beschäftigter betroffen ist

    und

  • die Ungleichbehandlung nicht durch Faktoren sachlich gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. Mai 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juli 2006, in dem Verfahren

Ursula Voß

gegen

Land Berlin,

Beteiligte:

Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet (Berichterstatter), M. Ilešič und E. Levits,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Voß, vertreten durch Rechtsanwalt E. Ribet Buse,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Juli 2007

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 141 EG.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Voß und dem Land Berlin über die Vergütung der Mehrarbeit, die Frau Voß als Teilzeitbeschäftigte geleistet hat.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Art. 141 Abs. 1 und 2 EG bestimmt:

„(1) Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.

(2) Unter ‚Entgelt’ im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.

Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bedeutet,

  1. dass das Entgelt für eine gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit aufgrund der gleichen Maßeinheit festgesetzt wird,
  2. dass für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich ist.”

Nationales Recht

4 § 35 Abs. 2 des Berliner Landesbeamtengesetzes in der Fassung vom 20. Februar 1979 (GVBl. BE, S. 368) lautet:

„Der Beamte ist verpflichtet, ohne Vergütung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt. Wird er durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, so ist ihm innerhalb von drei Monaten für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Ist die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, so können an ihrer Stelle Beamte in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern für einen Zeitraum bis zu 480 Stunden im Jahr eine Vergütung (§ 48 des Bundesbesoldungsgesetzes) erhalten.”

5 Das Bundesbesoldungsgesetz (im Folgenden: BBesG), das nach seinem § 1 Abs. 1 Nr. 1 auch die Besoldung der Beamten der Länder regelt, bestimmt in § 6 Abs. 1:

„Bei Teilzeitbeschäftigung werden die Dienstbezüge im gleichen Verhältnis wie die Arbeitszeit gekürzt.”

6 § 48 BBesG ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung die Gewährung einer Mehrarbeitsvergütung zu regeln, soweit die Mehrarbeit nicht durch Dienstbefreiung ausgeglichen wird.

7 In § 2 Abs. 1 der Verordnung vom 13. März 1992 über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte (BGBl. I S. 528) in der Neufassung vom 3. Dezember 1998 (B...

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