Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorabentscheidungsersuchen. Sozialpolitik. Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen. Kurs für den Erwerb der Stellung eines Staatsbediensteten. Ausschluss wegen langer Abwesenheit. Abwesenheit infolge eines Mutterschaftsurlaubs

 

Normenkette

Richtlinie 2006/54/EG

 

Beteiligte

Napoli

Loredana Napoli

Ministero della Giustizia – Dipartimento Amministrazione penitenziaria

 

Tenor

1. Art. 15 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die aus Gründen des öffentlichen Interesses eine Frau im Mutterschaftsurlaub von einer Berufsausbildung ausschließt, die Teil ihres Beschäftigungsverhältnisses und vorgeschrieben ist, um endgültig auf eine Beamtenstelle ernannt werden und damit in den Genuss verbesserter Beschäftigungsbedingungen gelangen zu können, die ihr dabei aber das Recht garantiert, an der nächsten organisierten Ausbildung teilzunehmen, deren Zeitpunkt jedoch ungewiss ist.

2. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2006/54 findet auf eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende keine Anwendung, die eine bestimmte Tätigkeit nicht allein männlichen Arbeitnehmern vorbehält, jedoch den Zugang zu dieser Tätigkeit für Arbeitnehmerinnen, die wegen eines obligatorischen Mutterschaftsurlaubs eine Berufsausbildung nicht vollständig absolvieren konnten, verzögert.

3. Art. 14 Abs. 1 Buchst. c und Art. 15 der Richtlinie 2006/54 sind hinreichend klar, genau und unbedingt, um unmittelbare Wirkung zu entfalten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale Amministrativo Regionale per il Lazio (Italien) mit Entscheidung vom 4. Oktober 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Dezember 2012, in dem Verfahren

Loredana Napoli

gegen

Ministero della Giustizia – Dipartimento Amministrazione penitenziaria

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, des Richters E. Levits, der Richterin M. Berger sowie der Richter S. Rodin und F. Biltgen (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und D. Martin als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. c, Art. 14 Abs. 2 und Art. 15 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. L 204, S. 23).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits von Frau Napoli gegen das Ministero della Giustizia – Dipartimento Amministrazione penitenziaria (Ministerium der Justiz – Abteilung Justizvollzugsverwaltung, im Folgenden: Amministrazione penitenziaria) über den Ausschluss von Frau Napoli vom Kurs für die Fortbildung zum Vizekommissar der Justizvollzugspolizei wegen ihrer mehr als 30-tägigen Abwesenheit von diesem Kurs, obwohl diese Abwesenheit durch einen obligatorischen Mutterschaftsurlaub gerechtfertigt war.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 2, 23, 25 und 28 der Richtlinie 2006/54 heißt es:

„(2) Die Gleichstellung von Männern und Frauen stellt nach Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 2 des [EG-]Vertrags sowie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein grundlegendes Prinzip dar. In diesen Vertragsbestimmungen wird die Gleichstellung von Männern und Frauen als Aufgabe und Ziel der Gemeinschaft bezeichnet, und es wird eine positive Verpflichtung begründet, sie bei allen Tätigkeiten der Gemeinschaft zu fördern.

(23) Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich klar, dass die Schlechterstellung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaft eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt. Eine solche Behandlung sollte daher von der vorliegenden Richtlinie ausdrücklich erfasst werden.

(25) Aus Gründen der Klarheit ist es außerdem angebracht, ausdrücklich Bestimmungen zum Schutz der Rechte der Frauen im Bereich der Beschäftigung im Falle des Mutterschaftsurlaubs aufzunehmen, insbesondere den Anspruch auf Rückkehr an ihren früheren Arbeitsplatz oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz ohne Verschlechterung der Arbeitsbedingungen aufgrund dieses Mutterschaftsurlaubs sowie darauf, dass ihnen auch alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zugutekommen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten.

(28) Die wirksame Anwendung des Grundsatzes der G...

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