BAG, Urteil v. 11.8.2016, 8 AZR 375/15

Leitsatz (amtlich)

Den öffentlichen Arbeitgeber trifft in einem Prozess die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der/die schwerbehinderte Bewerber/in offensichtlich fachlich ungeeignet i. S. v. § 82 Satz 3 SGB IX ist. Der öffentliche Arbeitgeber muss aber bereits im Verlauf des Auswahlverfahrens prüfen und entscheiden können, ob er einen schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einladen muss oder ob er nach § 82 Satz 3 SGB IX von der Verpflichtung zur Einladung befreit ist. Diese Prüfung und Entscheidung muss der/die schwerbehinderte Bewerber/in dem öffentlichen Arbeitgeber durch entsprechende Angaben zu seinem/ihrem fachlichen Leistungsprofil in der Bewerbung bzw. den beigefügten Bewerbungsunterlagen ermöglichen. Kommt der/die Bewerber/in dieser Mitwirkungspflicht nicht ausreichend nach, geht dies regelmäßig zu seinen/ihren Lasten. Auch in einem solchen Fall besteht für den öffentlichen Arbeitgeber regelmäßig keine Verpflichtung, den schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.

Sachverhalt

Die beklagte Stadt schrieb Mitte 2013 die Stelle eines "Techn. Angestellte/n für die Leitung des Sachgebiets Betriebstechnik" des von ihr unterhaltenen Komplexes "Palmengarten" aus, worin es u. a. hieß: "Wir erwarten: Dipl.-Ing. (FH) oder staatl. gepr. Techniker/in oder Meister/in im Gewerk Heizungs-/Sanitär-/Elektrotechnik oder vergleichbare Qualifikation; …" Der Kläger, mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert, ist ausgebildeter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer sowie staatlich geprüfter Umweltschutztechniker im Fachbereich "Alternative Energien". Er bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle und fügte seinem Bewerbungsschreiben einen ausführlichen Lebenslauf bei. Nachdem die beklagte Stadt ihn nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, sondern sich für einen anderen Bewerber entschieden hatte, erhob der Kläger Klage auf Zahlung einer Entschädigung wegen Diskriminierung nach dem AGG; denn der Verstoß gegen § 82 SGB IX, da er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, begründe die Vermutung, dass er wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sei. Dagegen brachte die beklagte Stadt hervor, sie habe den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen, da dieser für die zu besetzende Stelle offensichtlich fachlich ungeeignet sei.

Die Entscheidung

Die Klage hatte im Wesentlichen Erfolg. Die Beklagte wurde verurteilt, eine Entschädigung i. H. v. einem Bruttomonatsverdienst zu zahlen.

Das Gericht entschied, dass dadurch, dass die Beklagte den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, die Vermutung begründet wurde, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt wurde; denn insbesondere war sie hier nicht von ihrer Verpflichtung, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, nach § 82 Satz 3 SGB IX befreit, da sie auf der Grundlage der Angaben des Klägers in seiner Bewerbung nicht davon ausgehen durfte, dass diesem die erforderliche fachliche Eignung offensichtlich fehle.

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