LAG Hamburg, Urteil v. 30.11.2017, 7 Sa 90/17

Leitsatz (amtlich)

Enthält ein Arbeitsvertragsformular, das dem Bewerber nach einem Einstellungsgespräch zur Unterzeichnung vorgelegt wird, die Formulierung "Der Mitarbeiter erklärt, dass er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes nicht unterliegt.", so liegt allein hierin eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung nach § 3 Satz 1 AGG. Das gilt jedenfalls in den Fällen, in denen die Schwerbehinderung keinerlei Auswirkungen auf die auszuübende Tätigkeit haben kann.

Sachverhalt

Dem Kläger, der sich bei der Beklagten um eine Stelle als Hauswart beworben hatte, wurde durch Übergabe eines Arbeitsvertrags durch diese ein Angebot zum Abschluss eines Arbeitsvertrags gemacht. Der Vertrag enthielt folgende Klausel:

"Der Mitarbeiter versichert, dass er arbeitsfähig ist, nicht an einer infektiösen Erkrankung leidet und keine sonstigen Umstände vorliegen, die ihm die vertraglich zu leistende Arbeit jetzt oder in naher Zukunft wesentlich erschweren oder unmöglich machen. Der Mitarbeiter erklärt weiter, dass er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes nicht unterliegt. Sofern etwa die Voraussetzungen dafür später eintreten, wird er das Unternehmen hiervon unverzüglich in Kenntnis setzen."

Der Kläger begehrte die Streichung dieser Klausel; gleichzeitig informierte er die Beklagte über seine Schwerbehinderung, die daraufhin dem Kläger mitteilte, dass sie ihn nicht mehr einstellen wolle. Dieser klagte nun auf eine Entschädigung nach § 15 AGG i. H. v. 3 Bruttomonatsgehältern.

Die Entscheidung

Die Klage hatte Erfolg.

Nach Auffassung des Gerichts hatte die Beklagte den Kläger wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt und damit gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a. F. (entspricht § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX n. F.) verstoßen. Indem die Beklagte dem Kläger als schwerbehinderten Menschen einen Arbeitsvertrag mit o. g. Klausel zur Unterzeichnung vorgelegt hatte, hat sie ihn unmittelbar gem. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt. Die Klausel führe zu einer nicht gerechtfertigten ungünstigeren Behandlung im Vergleich zu nicht schwerbehinderten Bewerbern. Der Arbeitgeber bringe hierdurch zum Ausdruck, dass es ihm für das Arbeitsverhältnis darauf ankomme, dass der Arbeitnehmer nicht schwerbehindert i. S. d. § 2 SGB IX sei. Dadurch gerate der schwerbehinderte Bewerber in eine ungünstigere Situation als ein nicht behinderter Bewerber, da er die Entscheidung treffen müsse, seinen neuen Arbeitgeber bei Eingehen des Arbeitsverhältnisses über seine Schwerbehinderung zu täuschen oder sich vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrags zu offenbaren und seine Schwerbehinderung offenzulegen. Insoweit sei, so das LAG, der schwerbehinderte Kläger wegen der Schwerbehinderung unter Entscheidungsdruck gesetzt und ein Gewissenskonflikt geschaffen worden. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts erfordere jedoch, dass ein Bewerber grundsätzlich selbst entscheiden können muss, wann, auf welche Art und Weise und aus welchem Grund er wem gegenüber seine Schwerbehinderung mitteilen möchte.

Weiter urteilte das Gericht, dass die Diskriminierung vorliegend nicht gerechtfertigt war, da die Schwerbehinderung keinerlei Auswirkungen auf die auszuübende Tätigkeit hatte bzw. haben konnte. Nur dann, wenn die Schwerbehinderung der auszuübenden Tätigkeit tatsächlich entgegenstehe, könne ein Arbeitgeber unter Umständen ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an einer derartigen Erklärung des Arbeitnehmers haben, wobei dann die Klausel entsprechend formuliert und angepasst werden müsse.

Eine weitere Benachteiligung lag im vorliegenden Fall darin, dass die Beklagte den Kläger nach der Offenbarung seiner Schwerbehinderung entgegen ihrer ursprünglichen Absicht nicht eingestellt hatte.

Hinweis

Aufgrund dieses Urteils ist es zu empfehlen, interne Formulare mit Angaben zur Schwerbehinderteneigenschaft, die seitens der Bewerber vor Beginn des Arbeitsverhältnisses unterschrieben werden, zu überprüfen.

Das BAG selbst hatte in einem Urteil aus dem Jahre 2012 (Urteil v. 16.2.2012, 6 AZR 553/10) ausgeführt, dass die Frage nach der Schwerbehinderung jedenfalls dann zulässig sei, wenn sie nach Eintritt des Sonderkündigungsschutzes im bereits bestehenden Arbeitsverhältnis erfolge und dazu diene, den rechtlichen Pflichten des Arbeitgebers nachzukommen bzw. den Schwerbehinderten zu schützen.

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