EuGH, Urteil v. 23.4.2020, C-710/18

Die Regelung des § 16 Abs. 2 TV-L, wonach gleichwertige Vordienstzeiten, die in einem EU-Ausland erworben wurden, bei der Einstufung nach dem TV-L nur teilweise angerechnet werden, stellt einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit dar und ist unionsrechtswidrig.

Sachverhalt

Hintergrund dieses Falls war die Klage einer deutschen Staatsangehörigen, die 2014 vom Land Niedersachsen als Lehrerin eingestellt worden war. Obwohl sie zuvor 17 Jahre in Frankreich als Lehrerin tätig gewesen war, wurden bei ihrer Einstufung in die Entgelttabelle nur 3 Jahre dieser Vordienstzeiten angerechnet. Begründet wurde dies mit der Regelung in § 16 Abs. 2 TV-L, da hiernach einschlägige Berufserfahrung, die bei anderen Arbeitgebern erworben wurde, nur teilweise angerechnet wird. Hiergegen erhob sie vor den deutschen Gerichten Klage. Sie begründete dies damit, dass dies eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstelle und gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit verstoße. Das BAG hatte den Europäischen Gerichtshof im Rahmen der Vorabentscheidung angerufen, ob die Arbeitnehmerfreizügigkeit der nur teilweisen Anerkennung von Vordienstzeiten entgegenstehe.

Die Entscheidung

Der EuGH entschied nun zugunsten der Klägerin, dass eine Regelung wie § 16 Abs. 2 TV-L, die nicht sämtliche gleichwertige Vordienstzeiten, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsmitgliedstaat eines Wanderarbeitnehmers zurückgelegt wurden, berücksichtige, geeignet sei, die Arbeitnehmerfreizügigkeit unter Verstoß gegen Art. 45 Abs. 1 AEUV weniger attraktiv zu machen, und somit eine Beeinträchtigung dieser Freiheit darstelle.

Diese Beeinträchtigung sei im vorliegenden Fall auch nicht gerechtfertigt; denn die vom Land Niedersachsen vorgebrachten Rechtfertigungsgründe wie bspw. die Sicherstellung der Gleichbehandlung von befristet und unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern oder die Bindung der Arbeitnehmer an ihren Arbeitgeber seien hier nicht einschlägig.

Hinweis:

Das Urteil bedeutet, dass das BAG nun im anstehenden Revisionsverfahren nicht länger danach differenzieren darf, ob die Vordienstzeiten beim selben oder bei einem anderen Arbeitgeber erworben wurden, sondern bei der Frage der korrekten Stufenzuordnung nur noch berücksichtigen kann, ob die erworbene Berufserfahrung "einschlägig" ist.

Inwieweit das Urteil auch für den Bereich des TVöD Auswirkungen haben wird bzw. welche Folgerungen die Tarifvertragsparteien aus diesem Urteil ziehen werden, u. a. die Anpassung des § 16 Abs. 2 TV-L, bleibt abzuwarten.

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