Das Europarecht unterscheidet nicht zwischen Behinderung und Schwerbehinderung. Ein Schwellenwert, wie ihn der Schwerbehindertenbegriff des SGB IX erfordert, ist daher für das AGG nicht erforderlich. Der Schutz vor Diskriminierungen nach dem AGG kommt mithin allen Behinderten unabhängig vom Grad ihrer Behinderung zu. Der Begriff der Behinderung ist hierbei gemeinschaftsrechtlich auszulegen.[1] Danach ist eine Behinderung eine Einschränkung, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet.

Über das allgemeine Benachteiligungsverbot des AGG hinaus enthalten die §§ 164 und 165 SGB IX zusätzliche umfangreiche Regelungen über Pflichten des Arbeitgebers bei der Bewerbung von schwerbehinderten Menschen. Schwerbehindert i. S. d. §§ 164 und 165 SGB IX sind nach § 151 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 schwerbehinderte Menschen mit einem GdB von mindestens 50 (§ 2 Abs. 2 SGB IX) und ihnen nach § 151 Abs. 2 SGB IX Gleichgestellte. Die Gleichstellung setzt nach § 2 Abs. 3 SGB IX einen GdB von mindestens 30 voraus. Sie erfolgt auf Antrag des Behinderten durch rechtsbegründeten Verwaltungsakt der Bundesagentur für Arbeit und wirkt konstitutiv (rückwirkend) ab dem Tag des Eingangs des Antrags.[2] Soweit ein Bewerber zwar noch nicht gleichgestellt ist, jedoch eine Zusicherung der Bundesagentur für Arbeit gem. § 34 SGB X über eine künftige noch zu erfolgende Gleichstellung vorliegt, empfiehlt es sich dringend, bei diesem Bewerber wie bei einem bereits Gleichgestellten zu verfahren.

Anders als bei gleichgestellten Personen hat bei schwerbehinderten Menschen die behördliche Feststellung lediglich deklaratorischen Charakter. Der Schwerbehinderte bzw. ihm gleichgestellte Mensch wird mit dem hierüber ausgestellten Ausweis in die Lage versetzt, seine kraft Gesetzes vorhandene Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nachzuweisen (§ 152 Abs. 5 SGB IX).

Gemäß § 165 SGB IX sind schwerbehinderte Menschen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Eine Einladung ist nur dann entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Auf dieses Recht kann der schwerbehinderte Bewerber auch nicht wirksam verzichten.[3]

Verletzt ein Arbeitgeber seine Pflichten insb. nach den §§ 164, 165 SGB IX, rechtfertigt dies die Vermutung einer Benachteiligung auch nach dem AGG, § 164 Abs. 2 SGB IX.[4]

Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Stellenbewerbers kennt oder zumindest kennen muss. Deshalb muss dieser auf seine Schwerbehinderteneigenschaft deutlich hinweisen, bspw. im Bewerbungsanschreiben oder unter deutlicher Hervorhebung im Lebenslauf. Unauffällige Informationen oder eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises reichen hierfür nicht aus.[5] Soweit für den Arbeitgeber 3. Personen handeln und diese den entsprechenden Hinweis übersehen, wird dem Arbeitgeber diese Pflichtverletzung zugerechnet.[6]

5.1 Besondere Verhaltenspflichten des Arbeitgebers

Bei schwerbehinderten Menschen und ihnen Gleichgestellten treffen nach § 164 Abs. 1 SGB IX den Arbeitgeber insbesondere folgende Pflichten:

  • Prüfung, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können (§ 164 Abs. 1 Satz 1 SGB IX)

    Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob Bewerbungen schwerbehinderter Menschen bereits vorliegen, ob der Arbeitgeber mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt und ob er seine Pflichtquote bereits erfüllt hat oder nicht. Erfüllt der Arbeitgeber diese Pflicht nicht, steht der Personalvertretung ein Zustimmungsverweigerungsrecht hinsichtlich der Einstellung zu.

  • Kontaktaufnahme mit Agentur für Arbeit

    Der Arbeitgeber muss wegen der eventuellen Vermittlung arbeitsloser oder arbeitsuchend gemeldeter schwerbehinderter Menschen frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufnehmen (§ 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Die Nichteinschaltung der Agentur für Arbeit begründet eine Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung i. S. v. § 7 Abs. 1 AGG.[1]

  • Unterrichtungspflicht

    Die Schwerbehindertenvertretung und der Personalrat bzw. Betriebsrat ist über die Vermittlungsvorschläge und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen unmittelbar nach Eingang der entsprechenden Unterlagen zu unterrichten. Unterlässt der Arbeitgeber diese Unterrichtung, begründet dies gleichfalls eine Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung.

     

    Beispiel[2]

    Eine Bewerberin (Grad der Behinderung [GdB] von 80) schrieb im letzten Absatz des Bewerbungsschreibens:

    Zitat

    Nicht verschweigen möchte ich, dass ich durch meine Diabetes als schwerbehindert gelte, was sich keinesfalls auf meine Arbeitsleistung und...

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